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21. Dezember 2023

Wirksame Kündigung trotz fehlerhafter Massenentlassungsanzeige?

In unserem Newsletter vom 20. Juli 2023 hatten wir bereits darüber berichtet, dass sich eine wichtige Rechtsprechungsänderung andeutet.

Hintergrund unseres damaligen Newsletters war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), nach der die Verpflichtung des Arbeitgebers, der zuständigen Behörde im Rahmen des Massenentlassungsverfahrens eine Abschrift seiner Mitteilung an den Betriebsrat zu übermitteln, nicht den Zweck hat, den von Massenentlassungen betroffenen Arbeitnehmern Individualschutz zu gewähren.

Nicht entschieden hatte der EuGH die Frage, ob die Massenentlassungsanzeige insgesamt Individualschutz vermittelt, was aber Voraussetzung dafür wäre, dass Verstöße zu Unwirksamkeit der Kündigungen führen können.

Der 6. Senat des BAG hat sich zu dieser Frage offenbar eine eigene Meinung gebildet. Er möchte die bisherige Recht­spre­chung zu den Folgen einer feh­ler­haf­ten Massenentlassungsanzeige auf­ge­ben:

Ver­stö­ße gegen § 17 Abs. 1 und 3 KSchG sol­len nach Auffassung des 6. Senats des BAG nicht mehr zur Un­wirk­sam­keit der Kün­di­gungen füh­ren.

18. Dezember 2023

BAG festigt seine arbeitgeberfreundliche Tendenz zur Erschütterung des Beweiswerts einer AU

In unseren Newslettern vom 24.10.2023 und 07.12.2023 hatten wir den aktuellen Stand der Rechtsprechung zum Thema Erschütterung des Beweiswerts einer AU im Zusammenhang mit Kündigungen für Sie zusammengefasst und versprochen, Sie auf dem Laufenden zu halten.
 
Das möchten wir auch heute tun. Denn das Bundesarbeitsgericht hat per Urteil vom 13.12.2023 (Az.: 5 AZR 137/23) einige Fragen geklärt, die seit seiner Entscheidung vom 08.09.2021 (Az.: 5 AZR 149/21), über die wir in unserem Newsletter vom 24.10.2023 berichtet hatten, offengeblieben waren und unterschiedlich von Arbeits- und Landesarbeitsgerichten beantwortet wurden.
 
Die Antworten, die das Bundesarbeitsgericht in seiner bisher nur als Pressemitteilung veröffentlichten Entscheidung auf noch offene Fragen gegeben hat, lauten: 

  • Der Beweiswert einer AU, die passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dauert, kann auch bei Arbeitgeberkündigungen erschüttert sein.

  • Der Beweiswert der AU kann auch erschüttert sein, wenn nicht nur eine, sondern mehrere AU vorgelegt werden, von denen die letzte passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist reicht.

  • Und mehr noch: Der Beweiswert von (mehreren) AU, von denen die letzte passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist dauert, kann selbst dann erschüttert sein, wenn Beschäftigte bei Zugang der Kündigung bereits krank waren. 

All diese Feststellungen wurden zu einem Sachverhalt getroffen, den wir kurz für Sie zusammenfassen möchten, um daraus praxisrelevante Ableitungen zu machen.
 
In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der erstmals am 02.05.2022 eine AU für den Zeitraum vom 02.05. bis zum 06.05.2022 vorgelegt hatte.
Am 03.05.2022 ging dem Arbeitnehmer die Kündigung seines Arbeitgebers zum 31.05.2022 zu. 
Mit Folge-AU vom 06.05.2022 sowie vom 20.05.2022 wurde dem Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit zunächst bis zum 20.05.2022 (Folge-AU vom 06.05.2022) und sodann bis zum 31.05.2022 (einem Dienstag, Folge-AU vom 20.05.2022) attestiert.
Ab dem 01.06.2022 war der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig und begann ein neues Beschäftigungsverhältnis. 
 
Das Bundesarbeitsgericht kommt nun zu folgender Schlussfolgerung:

Bezogen auf die erste AU, die dem Arbeitnehmer für die Zeit vom 02.05. bis zum 06.05.2022 ausgestellt wurde, verneint das Bundesarbeitsgericht die Erschütterung des Beweiswerts, da die AU schon einen Tag vor dem Zugang der Arbeitgeberkündigung begann.

Anders beurteilt das Bundesarbeitsgericht die Sache für die dann folgenden AU vom 06.05. und 20.05.2022, die den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abdecken.
Hier sei der Beweiswert erschüttert, weil

  • diese AU den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist passgenau abdeckten und
  • der Arbeitnehmer unmittelbar nach Ablauf der Kündigungsfrist in genesenem Zustand ein neues Arbeitsverhältnis in Vollzug setzte.

Dies hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer laut Bundesarbeitsgericht für die Zeit vom 07.05. bis zum 31.05. die volle Darlegungs- und Beweislast für seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit hatte. Und was das bedeutet, hatten wir ja bereits in unserem Newsletter vom 24.10.2023 dargestellt.

Das bedeutet für die betriebliche Praxis:

15. Dezember 2023

Aktuelles zum Dienstrad: Wer zahlt die Leasingrate für entgeltfreie Beschäftigungszeiten?

Aktuelles zum Dienstrad: Wer zahlt die Leasingrate für entgeltfreie Beschäftigungszeiten?

In unserem Newsletter vom 10.10.2023 hatten wir Ihnen von dem Urteil des Arbeitsgerichts Aachen berichtet, das gesagt hat: Beschäftigte, die ihr Dienstrad per Gehaltsumwandlung selbst finanzieren, müssen die Leasingraten für das Dienstrad auch in entgeltfreien Zeiten zahlen.

Nun, da das Urteil des Arbeitsgericht Aachen vom 02.09.2023 (Az.: 8 Ca 2199/22) im Volltext vorliegt, möchten wir das Thema noch einmal aufgreifen.

In dem Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der aufgrund einer langen Erkrankung aus der Lohnfortzahlung raus war.
Da es nach der 6. Krankheitswoche kein Gehalt mehr gab, das umgewandelt werden konnte, war der Arbeitnehmer der Meinung, dass er nicht zahlen müsse.
Der Nutzungsüberlassungsvertrag, den der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber geschlossen hatte, sah für entgeltfreie Zeiten kurz und vereinfacht gesagt Folgendes vor:

14. Dezember 2023

Der EuGH hat entschieden: Urlaub während der Quarantäne ist nicht nachzugewähren

Der EuGH hat entschieden: 
Urlaub während der Quarantäne ist nicht nachzugewähren

Wer unsere Newsletter aufmerksam verfolgt, weiß, dass es eine ganze Reihe an Entscheidungen zu der Frage gibt, ob Urlaubstage nachzugewähren sind, wenn die Beschäftigten ihren Urlaub (ganz oder teilweise) in Quarantäne verbringen mussten.

Die Meinungen der deutschen Arbeitsgerichte hierzu waren geteilt. 

Die herrschende Meinung tendierte dazu, dass die in eine Quarantäne gefallenen Urlaubstage nicht nachzugewähren sind, vgl. unsere Newsletter vom 17.08.2021 und 02.03.2022.

Anderer Meinung war das Landesarbeitsgericht Hamm, über dessen Entscheidung wir in unserem Newsletter vom 24.03.2022 berichtet hatten. Nach Meinung des Hammer Landesarbeitsgerichts wäre der Urlaub für Zeiten einer Quarantäne nachzugewähren, denn – so das LAG – § 9 des Bundesurlaubsgesetzes gelte für Quarantänefälle analog.

Der Arbeitgeber wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren und zog vor das Bundesarbeitsgericht (BAG), das wiederum selbst zunächst keine Entscheidung getroffen hat, sondern die Frage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiterreichte. Das war am 16.08.2022.

Das BAG war aber nicht das einzige deutsche Gericht, dass sich wegen diese Frage an den EuGH gewendet hat. Von vielen (lange Zeit auch von uns) unbemerkt, hatte das ArbG Ludwigshafen den EuGH bereits am 14.02.2022 um Vorabentscheidung in genau dieser Frage ersucht.

In diesem Verfahren hat der EuGH heute entschieden. Die Pressemitteilung finden Sie hier, den Volltext des Urteil gibt es hier.

08. Dezember 2023

Bei Anruf: Krank

Bei Anruf: Krank

In unserem Newsletter vom 29.11.2023 hatten wir die AU per Telefon ja bereits angekündigt – nun ist sie amtlich:
Gestern hat der Gemeinsame Bundesausschuss eine entsprechende Änderung der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie beschlossen: Ab sofort ist es möglich, eine AU für bis zu 5 Kalendertage per Telefon zu erhalten; allerdings nur, wenn die erkrankte Person aufgrund früherer Behandlung in der Arztpraxis persönlich bekannt ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
 
Grundlage sind neu eingefügte Passagen in § 4 der AU-Richtlinie, insbesondere der neue Absatz 5a, der lautet:
„Sofern die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich ist, kann diese bei Versicherten mit Erkrankungen, die keine schwere Symptomatik vorweisen, entsprechend der Vorgaben nach Absatz 5 auch nach telefonischer Anamnese mit der Maßgabe erfolgen, dass die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit über einen Zeitraum von bis zu fünf Kalendertagen nicht hinausgehen soll. Dies gilt nicht für Versicherte nach Absatz 5 Satz 4. [Anmerkung: Das sind die Versicherten, die in der Arztpraxis nicht persönlich bekannt sind.]“  
  

Anders als wir vermutet hatten, ist die telefonische AU also auf maximal 5 Kalendertage begrenzt. Das ist immerhin in den allermeisten Fällen trotzdem eine ganze Arbeitswoche. Die Befürchtungen insbesondere der betroffenen Arbeitgeber versucht Dr. Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses zu beschwichtigen; in der Pressemitteilung des G-BA vom gestrigen Tage wird sie mit folgenden Worten zitiert:
„[…] Es handelt sich ausdrücklich nicht um eine Krankschreibung zweiter Klasse. Unsere Regelungen zur telefonischen Krankschreibung tragen der besonderen Verantwortung Rechnung, dass Krankschreibungen eine hohe arbeits- und sozialrechtliche sowie wirtschaftliche Bedeutung haben. Für den G-BA steht im Vordergrund, dass die medizinische Sorgfalt bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit immer gewährleistet sein muss – das gilt selbstverständlich auch für die telefonische Anamnese. Und bei Bedarf müssen die Symptome durch eine unmittelbar persönliche Untersuchung abgeklärt werden. Diese stellt nach wie vor den Standard in der ärztlichen Versorgung dar.“

Die Voraussetzungen für die telefonische Krankschreibung für maximal fünf Kalendertage sind also:

  • die erkrankte Person muss aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt sein,
  • die Durchführung einer Videosprechstunde ist (warum auch immer) nicht möglich und
  • es liegt keine schwere Symptomatik vor.

Wie man das Vorliegen dieser Voraussetzungen – angesichts der wenigen Informationen, die Arbeitgeber überhaupt bekommen – überprüfen soll, ist allerdings fraglich.

Bleibt zu hoffen, dass sich Ärzte und ihr Personal ihrer besonderen Verantwortung bewusst sind.