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BAG festigt seine arbeitgeberfreundliche Tendenz zur Erschütterung des Beweiswerts einer AU

In unseren Newslettern vom 24.10.2023 und 07.12.2023 hatten wir den aktuellen Stand der Rechtsprechung zum Thema Erschütterung des Beweiswerts einer AU im Zusammenhang mit Kündigungen für Sie zusammengefasst und versprochen, Sie auf dem Laufenden zu halten.
 
Das möchten wir auch heute tun. Denn das Bundesarbeitsgericht hat per Urteil vom 13.12.2023 (Az.: 5 AZR 137/23) einige Fragen geklärt, die seit seiner Entscheidung vom 08.09.2021 (Az.: 5 AZR 149/21), über die wir in unserem Newsletter vom 24.10.2023 berichtet hatten, offengeblieben waren und unterschiedlich von Arbeits- und Landesarbeitsgerichten beantwortet wurden.
 
Die Antworten, die das Bundesarbeitsgericht in seiner bisher nur als Pressemitteilung veröffentlichten Entscheidung auf noch offene Fragen gegeben hat, lauten: 

  • Der Beweiswert einer AU, die passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dauert, kann auch bei Arbeitgeberkündigungen erschüttert sein.

  • Der Beweiswert der AU kann auch erschüttert sein, wenn nicht nur eine, sondern mehrere AU vorgelegt werden, von denen die letzte passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist reicht.

  • Und mehr noch: Der Beweiswert von (mehreren) AU, von denen die letzte passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist dauert, kann selbst dann erschüttert sein, wenn Beschäftigte bei Zugang der Kündigung bereits krank waren. 

All diese Feststellungen wurden zu einem Sachverhalt getroffen, den wir kurz für Sie zusammenfassen möchten, um daraus praxisrelevante Ableitungen zu machen.
 
In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der erstmals am 02.05.2022 eine AU für den Zeitraum vom 02.05. bis zum 06.05.2022 vorgelegt hatte.
Am 03.05.2022 ging dem Arbeitnehmer die Kündigung seines Arbeitgebers zum 31.05.2022 zu. 
Mit Folge-AU vom 06.05.2022 sowie vom 20.05.2022 wurde dem Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit zunächst bis zum 20.05.2022 (Folge-AU vom 06.05.2022) und sodann bis zum 31.05.2022 (einem Dienstag, Folge-AU vom 20.05.2022) attestiert.
Ab dem 01.06.2022 war der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig und begann ein neues Beschäftigungsverhältnis. 
 
Das Bundesarbeitsgericht kommt nun zu folgender Schlussfolgerung:

Bezogen auf die erste AU, die dem Arbeitnehmer für die Zeit vom 02.05. bis zum 06.05.2022 ausgestellt wurde, verneint das Bundesarbeitsgericht die Erschütterung des Beweiswerts, da die AU schon einen Tag vor dem Zugang der Arbeitgeberkündigung begann.

Anders beurteilt das Bundesarbeitsgericht die Sache für die dann folgenden AU vom 06.05. und 20.05.2022, die den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abdecken.
Hier sei der Beweiswert erschüttert, weil

  • diese AU den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist passgenau abdeckten und
  • der Arbeitnehmer unmittelbar nach Ablauf der Kündigungsfrist in genesenem Zustand ein neues Arbeitsverhältnis in Vollzug setzte.

Dies hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer laut Bundesarbeitsgericht für die Zeit vom 07.05. bis zum 31.05. die volle Darlegungs- und Beweislast für seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit hatte. Und was das bedeutet, hatten wir ja bereits in unserem Newsletter vom 24.10.2023 dargestellt.

Das bedeutet für die betriebliche Praxis:

  • Beginnt die AU vor dem Zugang der Kündigung, ist der Beweiswert bezogen auf diese AU nicht ohne weiteres erschüttert. Etwas anderes mag gelten, wenn die Kündigungsabsicht schon bekannt ist; Anhaltspunkte dafür gab es im vorliegenden Fall aber wohl nicht.

  • Folgen dann weitere AU, die passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist reichen, ist für diese weiteren AU der Beweiswert erschüttert. Das gilt jedenfalls dann, wenn Beschäftigte unmittelbar nach Ablauf der Kündigungsfrist wieder gesund sind und bei einem neuen Arbeitgeber einer neuen Beschäftigung nachgehen.

    Anders als im entschiedenen Fall werden Arbeitgeber aber oftmals nicht wissen, wann Beschäftigte ihre Arbeitsfähigkeit wiedererlangt und eine Anschlussbeschäftigung bei einem andere Arbeitgeber aufgenommen haben. Wir sind gespannt, ob das Bundesarbeitsgericht den Arbeitgebern in seinen vollständigen Entscheidungsgründen auch insoweit Auskunftsrechte einräumt.

  • Hätte der Arbeitnehmer im entschiedenen Fall eine einzige AU bis zum Ablauf der Kündigungsfrist vorgelegt, wäre die Sache wahrscheinlich anders entschieden worden, weil die Arbeitsunfähigkeit schon vor Zugang der Kündigung bestand.

Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gibt Arbeitgebern erfreulicherweise weitere Möglichkeiten an die Hand, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Zusammenhang mit Kündigungen anzugreifen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberkündigungen handelt. 

Allerdings zeigt das Urteil auch sehr schön, dass man sich die Krankheitsverläufe immer genau ansehen muss.  

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