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BAG neu: Welches Arbeitsrecht gilt bei einer Entsendung ins europäische Ausland?

In unserem Newsletter vom 27.04.2023 hatten wir von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts berichtet, in der das Bundesarbeitsgericht die dauerhafte Versetzung (nicht Änderungskündigung!) eines Beschäftigten ins europäische Ausland für gerechtfertigt hielt.
 
Heute soll es um das anwendbare (Tarif-)Recht bei bloß vorübergehender Entsendung von in Deutschland tätigen Beschäftigten ins europäische Ausland gehen.
In unserem Newsletter vom 06.07.2022 hatten wir hierzu von einer interessanten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10.11.2021 (Az.: 9 Sa 39/21) berichtet.
 
In seinem erst kürzlich veröffentlichten Urteil vom 07.09.2022, (Az.: 5 AZR 128/22), hat das Bundesarbeitsgericht die wesentlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Hamburg zur Fortgeltung deutschen (Tarif-)Rechts bei vorübergehender Entsendung ins Ausland bestätigt.

Da unsere Arbeitswelt immer internationaler wird, möchten wir das, was für die betriebliche Praxis wichtig ist, noch einmal wiederholen:

  • Bei einer vorübergehenden Auslandstätigkeit ist das deutsche Arbeitsrecht weiterhin das objektiv anwendbare Recht. Das Bundesarbeitsgericht sagt dazu:

    „Gemäß Artikel 8 Absatz 2 Satz 1 der Rom I-VO (Anmerkung: Die Rom I-Verordnung regelt sozusagen das internationale Schuldrecht innerhalb der EU) unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder anderenfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Dabei wechselt der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, nach Artikel 8 Absatz Satz 2 Rom I-Verordnung nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet. [...] Eine zeitliche Höchstgrenze ist dafür nicht vorgesehen.“ 

    Für Entsendungen von in Deutschland Beschäftigten in andere Länder der EU ist die Sache damit klar.
    Deutsches Arbeitsrecht bleibt objektiv anwendbar. Diese Erkenntnis ist deshalb so wichtig, weil die bloße Vereinbarung einer Rechtsordnung, die objektiv nicht anwendbar ist, tückisch ist (siehe dazu auch unseren Newsletter vom 06.07.2022).

  • Zum weiter anwendbaren Recht gehören auch (deutsche) Tarifverträge, jedenfalls dann, wenn sich aus deren räumlichen Geltungsbereich nicht ausdrücklich etwas anderes ergibt.
    Hierzu sagt das Bundesarbeitsgericht:

    „Fehlen im Tarifvertrag Anknüpfungspunkte zur Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs, kommt es auf den Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses an. Der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses liegt grundsätzlich an dem Ort des Betriebs oder Betriebsteils, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, also dort wo der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht – zumindest überwiegend – zu erfüllen hat [...]. Eine nur vorübergehende Entsendung an einen anderen Arbeitsort – auch im Ausland – berührt im Regelfall den Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses nicht. Dies entspricht der übergehenden Auffassung im Schrifttum […]. Eine Entsendung ist erst dann nicht mehr vorübergehend in diesem Sinn, wenn sie auf Dauer angelegt bzw. die Rückkehr des Arbeitnehmers nicht mehr beabsichtigt ist […]. Der Festlegung zeitlicher Obergrenzen bedarf es nicht, da es naheliegt, für das Verständnis des Begriffs „vorübergehend“ an die Regelungen der Rom I-VO anzuknüpfen […]. Wenn sich hiernach die materiellen Arbeitsbedingungen nach deutschem Recht richten, wäre es widersprüchlich, wenn dies nicht auch für die Arbeitsbedingungen gilt, die in Tarifverträgen geregelt sind.“
     
    Wenn die Tarifverträge zwingend (also kraft Allgemeinverbindlichkeit oder beiderseitiger Verbandszugehörigkeit) gelten, darf hiervon auch nicht im Entsendungsvertrags abgewichen werden. Wenn der Arbeitgeber im entschiedenen Fall mit dem Arbeitnehmer für die Dauer von dessen Entsendung vereinbart hatte, dass vom Bruttogehalt die höheren fiktiven Steuern in Deutschland abgezogen werden (tatsächlich musste das Einkommen während der Entsendung in Frankreich versteuert werden), war das also auch in den Augen des Bundesarbeitsgerichts rechtswidrig; jedenfalls für den Zeitraum, in dem der Tarifvertrag zwingend galt.
     
  • Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil auch etwas zur Geltung des deutschen Betriebsverfassungsrechts bei Auslandsentsendungen gesagt:

    „Die Geltung des deutschen Betriebsverfassungsrechts für im Ausland tätige Arbeitnehmer setzt voraus, dass sich die Auslandstätigkeit als „Ausstrahlung“ des Inlandsbetriebs darstellt […]. Entscheidend hierfür ist der Bezug des Arbeitnehmers zur inländischen Arbeitsorganisation […]. Dazu kommt es wesentlich darauf an, ob der Arbeitgeber gegenüber dem im Ausland tätigen AN eine betriebsverfassungsrechtlich relevante Arbeitgeberstellung tatsächlich innehat […].
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