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Welches Arbeitsrecht gilt bei einer Entsendung ins Ausland?

Angesichts einer immer internationaler werdenden Arbeitswelt gibt es auch immer mehr Fälle, in denen Beschäftigte vorübergehend ins Ausland entsandt werden.
Selbst innerhalb der EU werfen solche Entsendungen leider viele Fragen in arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Hinsicht auf. Die Problemstellungen betreffen auch das durch die Pandemie angetriebene mobile Arbeiten im Ausland. Darüber wurde bereits viel geschrieben bzw. geklagt. Ob die Auslandstätigkeit zumindest innerhalb der EU in Zukunft rechtlich einfacher wird, bleibt abzuwarten. Wünschenswert wäre es allemal.
 
Heute soll es um das bei einer vorübergehenden Auslandstätigkeit anwendbare Arbeitsrecht gehen.

Ausgangspunkt hierfür ist das gerade veröffentlichte Urteil des Landesarbeitsgericht Hamburg vom 10.11.2021 (Az.: 9 Sa 39/21), dem kurz gesagt folgender Fall zugrunde lag:
 
Ein Arbeitnehmer eines deutschen Unternehmens wurde vorübergehend nach Frankreich entsandt.
Für das Arbeitsverhältnis galt – aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit – ein Tarifvertrag. Nach diesem Tarifvertrag durften vom Tarifgehalt nur die tatsächlich angefallenen Steuern und Sozialabgaben abgezogen werden.
In dem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossenen Entsendungsvertrag war allerdings vereinbart, dass vom Bruttogehalt die fiktiven, in Deutschland zu entrichtenden Steuern abgezogen werden. Im Gegenzug wurden die in Frankreich tatsächlich angefallenen und abzuführenden Steuern vom Arbeitgeber getragen. Das Problem: Die „französischen Steuern“ waren niedriger als die „deutschen“.
Außerdem sah der Entsendungsvertrag zusätzliche Leistungen für den Arbeitnehmer vor, insbesondere wegen erhöhter Aufwendungen durch den Auslandseinsatz (z. B. Mietzuschuss, Umzugs- und Einrichtungspauschale, Mobilitätszulage etc.).
Die Zielrichtung des Arbeitgebers war klar: Der Arbeitnehmer sollte nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als hätte er in Deutschland gearbeitet.
 
Der Arbeitnehmer war allerdings nicht damit einverstanden, dass ihm die höheren fiktiven „deutschen Steuern“ vom Gehalt abgezogen wurden. Seiner Meinung nach durfte der Arbeitgeber nur die niedrigeren „französischen Steuern“ in Abzug bringen.
Deshalb zog er vors Arbeitsgericht und bekam vom Landesarbeitsgericht Hamburg recht.
 
Die weit über den konkreten Fall hinausreichenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Hamburg für das bei Auslandseinsätzen anwendbare Arbeits- und Tarifrecht möchten wir folgendermaßen für Sie auf den Punkt bringen:

  • Bei einer vorübergehenden Auslandstätigkeit ist das deutsche Arbeitsrecht weiterhin das objektiv anwendbare Recht.
    Das folgt aus Artikel 8 Absatz 2 der Rom I-Verordnung. Danach unterliegt ein Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet; bei dem Arbeitsrecht des Staates, in dem die / der Beschäftigte gewöhnlicherweise tätig ist, bleibt es auch dann, wenn die Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat geleistet wird.

  • Nun werden einige unserer Leser:innen sagen, dass man es doch einfacher, nämlich so machen kann, dass man deutsches Arbeitsrecht im Entsendungsvertrag vereinbart.
    Diese These ist allerdings nur bedingt richtig.
    Es ist zwar zutreffend, dass man eine sogenannte Rechtswahl treffen, sprich das Arbeitsrecht eines Staates vereinbaren kann.
    Nach besagter Rom I-Verordnung darf diese Rechtswahl vereinfacht gesagt aber nicht dazu führen, dass der / dem Beschäftigten zwingende Schutzrechte entzogen werden. Und diese zwingenden Schutzrechte bestimmen sich nach dem Arbeitsrecht des Staates, das ohne die vereinbarte Rechtswahl anzuwenden wäre.

    Daher ist es wichtig, dass Arbeitgeber bei Auslandstätigkeiten immer vorab prüfen, welches Recht denn objektiv anwendbar wäre. Denn wie schon gesagt: Nur weil in einem Entsendungsvertrag deutsches Arbeitsrecht vereinbart wurde, heißt das nicht, dass auch in allen Belangen deutsches Arbeitsrecht gilt. Wäre – um bei Frankreich zu bleiben – ohne das vereinbarte deutsche Recht französisches Recht anwendbar, müsste das deutsche Arbeitsrecht sozusagen ggfs. um zwingende Bestimmungen des französischen Rechts ergänzt werden. Und das sind natürlich juristische Alpträume, weshalb Arbeitgeber gut beraten sind, die Auslandstätigkeit dem Recht zu unterstellen, das auch objektiv anwendbar ist.

  • Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat keine Zweifel gelassen, dass eine Auslandstätigkeit von 2 Jahren noch vorübergehend im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 Rom I-Verordnung ist.
    Unklar bleibt, wie lange ein Auslandseinsatz maximal sein darf, damit das Arbeitsrecht des gewöhnlichen Beschäftigungsstaates (im Beispielsfall also Deutschland) anwendbar bleibt. Hier gibt es unterschiedliche Meinungen, bis hin zu derjenigen, die sagt, dass die Dauer egal ist, so lange klar ist, dass der Auslandseinsatz nur befristet erfolgt und der Rückkehrzeitpunkt feststeht.

  • Zum (hier anwendbaren) deutschen Recht gehören auch Tarifverträge. Sind die Tarifverträge nicht nur freiwillig vereinbart, sondern zwingend zu beachten (weil die Tarifverträge entweder allgemeinverbindlich sind oder ein Fall der beiderseitigen Verbandszugehörigkeit vorliegt), kann hiervon auch nicht durch Entsendungsverträge abgewichen werden.
    Das Problem: Tarifverträge haben in der Regel einen räumlichen Geltungsbereich, der sich auf die Bundesrepublik Deutschland oder bestimmte Bundesländer beschränkt. Eine Tätigkeit im Ausland ist von Tarifverträgen grundsätzlich nicht erfasst.
    Nach Meinung des Landesarbeitsgerichts Hamburg spielt das aber bei vorübergehenden Auslandstätigkeiten keine Rolle. Nach Meinung der Hamburger Landesarbeitsrichter bleiben die Tarifverträge also trotz der vorübergehenden Auslandstätigkeit anwendbar, da der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses weiter in Deutschland und damit im räumlichen Anwendungsbereich des Tarifvertrages liegt.

    Da der Tarifvertrag im konkreten Fall einen Abzug der tatsächlich anfallenden Steuern vorsah, handelte der Arbeitgeber rechtswidrig, indem er vom Bruttogehalt die höheren fiktiven Steuern in Deutschland abzog.

  • Dieser Nachteil für den Arbeitnehmer konnte auch nicht durch die oben erwähnten anderen Vergünstigungen (Mietzuschuss, Umzugs- und Einrichtungspauschale, Mobilitätszulage etc.) kompensiert werden. Oder anders und allgemeiner gesagt: Abweichungen von zwingend zu beachtenden Tarifverträgen sind bekanntlich nur zulässig, wenn die / der Beschäftigte dadurch nur Vorteile hat. In diesen Günstigkeitsvergleich sind allerdings nur Regelungen einzubeziehen, die in einem inneren Zusammenhang stehen. Das nennt man den sogenannten Sachgruppenvergleich.
    Und genau das war im entschiedenen Fall das Problem. Die weiteren Vergünstigungen, die der Arbeitnehmer bekam, standen nicht in einem inneren Zusammenhang mit der Versteuerung. 

Insbesondere wegen der Anwendbarkeit von Tarifverträgen bei vorübergehenden Auslandseinsätzen hat das Landesarbeitsgericht die Revision zugelassen. Das letzte Wort in dieser interessanten Frage wird also vom Bundesarbeitsgericht gesprochen.
 
Was lernen wir daraus?
Auslandseinsätze richtig zu gestalten, ist leider immer noch ein schwieriges Unterfangen. Und das nicht nur in arbeits-, sondern auch in sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Hinsicht.

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