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Neue Hürden für die krankheitsbedingte Kündigung – Das BAG und das BEM

In unserem Newsletter vom 28.06.2022 hatten wir bereits von der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg vom 10.02.2022 (Az.: 17 Sa 57/21) berichtet.
 
Das LAG hatte entschieden, dass aufgrund der Zustimmung des Integrations- bzw. Inklusionsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung nicht vermutet wird, dass ein BEM die Kündigung nicht hätte verhindern können.
Anders ausgedrückt: Auch wenn das Inklusionsamt die Zustimmung zur krankheitsbedingten Kündigung einer schwerbehinderten (oder dieser gleichgestellten) Person erteilt, macht das die Durchführung eines (erneuten) BEM nicht entbehrlich. Vielmehr kann das Arbeitsgericht dennoch zu dem Ergebnis kommen, dass die krankheitsbedingte Kündigung unwirksam ist.
 
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Auffassung des LAG in seinem gerade veröffentlichten Urteil nun bestätigt (Az.: 2 AZR 162/22).

Zur Begründung stützt sich das BAG insbesondere darauf, dass das BEM einerseits und das Zustimmungsverfahren nach den §§ 168 ff. SGB IX andererseits unterschiedliche Ziele, prozedurale Abläufe und Beteiligte haben. Das BEM ist ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll, um den Ausspruch einer Kündigung zu vermeiden. Demgegenüber überprüft das Inklusionsamt einen vom Arbeitgeber bereits gefassten Kündigungsentschluss und trifft eine Ermessensentscheidung, bei der das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen ist. Bei dieser Entscheidung unterliegt das Integrationsamt zum Teil Einschränkungen, wonach es in einer Reihe von Fallgestaltungen eine Zustimmung erteilen „soll“.
Der stattgebenden Entscheidung des Integrationsamts kann – so das BAG – schließlich deshalb keine Bedeutung für die erweiterte Darlegungslast des Arbeitgebers zukommen, weil sich die Wirksamkeit einer Kündigung nach arbeitsrechtlichen Normen beurteilt und allein den Arbeitsgerichten obliegt.
 
Im Rahmen dieser (umfassenden) Prüfungskompetenz der Arbeitsgerichte spielt insbesondere die Durchführung des BEM eine entscheidende Rolle, wenn eine krankheitsbedingte Kündigung auf dem Prüfstand steht.
 
Ein Arbeitgeber, der seiner Verpflichtung zur Durchführung eines BEM nicht nachgekommen ist, ist im Kündigungsschutzprozess nämlich darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass ein solches BEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken.
Dieser Nachweis ist dem Arbeitgeber in dem nun vom BAG entschiedenen Fall nicht gelungen; und das, obwohl die Arbeitnehmerin seit mehr als fünf Jahren arbeitsunfähig erkrankt gewesen war!
 
Die Hürden liegen also hoch und eine (jahre-) lange Arbeitsunfähigkeitsdauer ist kein Garant für eine krankheitsbedingte Kündigung.
 
Die Entscheidung des BAG ist aber auch deshalb spannend, weil sie einige entscheidende Hinweise zu dem datenschutzrechtlichen Aspekt des BEM gibt.
 
Der Arbeitgeber hatte nämlich deshalb kein (erneutes) BEM durchgeführt, weil die Arbeitnehmerin ihre datenschutzrechtliche Zustimmung zur Verarbeitung personenbezogener Daten nicht erteilt hatte und das BEM deshalb – so der Arbeitgeber – aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden konnte.
 
Das BAG war anderer Auffassung.
 
Dabei wird allerdings – auch bei Lektüre der Entscheidungsgründe – nicht ganz klar, ob das BAG die schriftliche Zustimmung der Beschäftigten in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Rahmen eines BEM für grundsätzlich entbehrlich hält oder ob es nur der Auffassung ist, dass sich der Arbeitgeber bei der Einholung der Einwilligung mehr Mühe hätte geben müssen.
 
Jedenfalls stellt das BAG ausdrücklich fest, dass § 167 Abs. 2 SGB IX die Einwilligung der Beschäftigten in die Verarbeitung der personenbezogenen und Gesundheitsdaten nicht als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung eines BEM vorsieht; erforderlich sei lediglich ein Hinweis über Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten.
 
Was zunächst radikal klingt, wird nur wenige Sätze später relativiert. Wörtlich sagt das BAG:
 
„Ein rechtfertigender Grund, von der Einleitung eines BEM abzusehen, lag selbst unter Beachtung des Normzwecks des § 167 Abs. 2 SGB IX nicht vor. Es war der Beklagten auch ohne die verlangte Einwilligung möglich und zumutbar, zunächst mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen. Sie konnte mit der Klägerin in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf besprechen und versuchen, die offenbar bei der Klägerin bestehenden Vorbehalte auszuräumen. Die Beklagte musste – da es sich beim BEM um ein konsensuales Verfahren handelt – die diesbezüglichen Vorstellungen der Klägerin zur Kenntnis nehmen und diese soweit wie möglich bei dem weiteren Verfahrensablauf berücksichtigen. Daneben hätten die Parteien den Kreis der am Verfahren nach § 167 Abs. 2 SGB IX mitwirkenden Stellen und Personen festlegen können. Erst in einem weiteren Termin wären dann mit den Verfahrensbeteiligten die in Betracht kommenden Möglichkeiten zu erörtern gewesen, ob und ggf. auf welche Weise die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin reduziert werden können. In diesem Zusammenhang wäre von ihnen auch darüber zu befinden gewesen, ob und ggf. welche Angaben über den Gesundheitszustand hierfür voraussichtlich erforderlich sind und auf welche Weise etwaige Gesundheitsdaten rechtskonform zu erheben und verarbeiten sind. Nur wenn die Klägerin nicht bereit gewesen wäre, an dem weiteren Klärungsprozess beispielsweise durch die Vorlage der dafür möglicherweise – je nach Lage des Einzelfalls – erforderlichen Diagnosen und Arztberichte konstruktiv mitzuwirken, hätte die Beklagte zur Verfahrensbeendigung berechtigt sein können, ohne dass sie bei einer nachfolgenden Kündigung verfahrensrechtliche Nachteile zu gewärtigen gehabt hätte. Der Abbruch des BEM wäre dann „kündigungsneutral“.“
 
Daraus folgen jedenfalls zwei Punkte:

  • Zum einen erwartet das BAG die Durchführung von mindestens zwei Terminen, bevor Sie als Arbeitgeber berechtigt sind, das BEM wegen mangelnder Mitwirkung der Beschäftigten als gescheitert zu betrachten. In einem ersten Termin werden mögliche Verfahrensabläufe besprochen und (sofern das nicht im Vorfeld passiert ist) der Kreis der am Verfahren zu beteiligten Personen geklärt; in einem zweiten Gespräch geht es dann darum festzustellen, ob und welche Gesundheitsdaten im Rahmen des BEM erforderlich sind.
  • Daraus folgt der zweite Punkt: Das BAG schließt die Durchführung eines BEM ohne Kenntnis der Gesundheitsdaten offenbar nicht aus. Wie genau es möglich sein soll, ergebnisoffen über Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten zu sprechen, ohne dass der Arbeitgeber die zugrundeliegenden Diagnosen kennt, dazu äußert sich das BAG leider nicht. Spätestens wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen, die von den betroffenen Personen selbst oder in einer medizinischen Begutachtung vorgeschlagen werden, zu bewerten, ist eine Vorstellung davon, welche gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen, in unseren Augen unerlässlich. Ob das BAG dies genauso sieht, bleibt abzuwarten. 

Unser Tipp:
In den Fällen, in denen Sie tatsächlich eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht ziehen, können wir Ihnen nur raten, die Beschäftigten von der Erteilung ihrer Einwilligung zu überzeugen, damit Sie zumindest die wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen kennen und dazu passende Maßnahmen diskutieren können, auch wenn Sie dafür mehrere Gesprächstermine wahrnehmen müssen.
Anderenfalls wird es nach dieser aktuellen Entscheidung des BAG schwierig, die krankheitsbedingte Kündigung zu begründen.

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