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Wieder Neues zum betrieblichen Eingliederungsmanagement

In unserem Newsletter vom 08.02.2022 hatten wir bereits von dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts berichtet, in dem das Bundesarbeitsgericht folgenden Grundsatz aufgestellt hat:
 
Für ein einmal durchgeführtes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gibt es keine „Mindesthaltbarkeit“. Vielmehr sollten Arbeitgeber vor dem Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ein neues BEM durchführen, wenn die / der Beschäftigte seit Beendigung des letzten BEM wieder länger als 6 Wochen in den letzten 12 Kalendermonaten arbeitsunfähig gewesen ist.
 
In vielen laufenden Kündigungsfällen ist das nicht passiert. Das allein führt zwar nicht automatisch zur Unwirksamkeit der krankheitsbedingten Kündigung, es bedeutet aber, dass der Arbeitgeber umfassend und konkret vortragen und beweisen muss, dass und warum eine erneute Durchführung eines BEM objektiv nutzlos wäre.
Hohe Hürden, die nicht leicht zu nehmen sind.

In einigen dieser Fälle, die eine krankheitsbedingte Kündigung von schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten betreffen, hat das Integrations- bzw. Inklusionsamt der Kündigung in dem dem Ausspruch der Kündigung vorgeschalteten Zustimmungsverfahren (§§ 168 ff. SGB IX) aber vielleicht ausdrücklich zugestimmt.
 
Und dann stellt sich die folgende Frage:
Ist aufgrund der Zustimmung des Integrations- bzw. Inklusionsamts die Durchführung eines erneuten BEM entbehrlich?
Die Frage ist durchaus berechtigt, wenn man bedenkt, dass das Integrations- bzw. Inklusionsamt seine Zustimmung zur Kündigung nur erteilt, wenn es nach eingehender Prüfung zu der Auffassung gelangt ist, dass es keine (weiteren) Maßnahmen gibt, um die Kündigung zu verhindern. Die objektive Nutzlosigkeit eines neuerlichen BEM ist folglich Voraussetzung dafür, dass die Behörde die Zustimmung zur Kündigung der schwerbehinderten oder gleichgestellten Person überhaupt erteilen darf.
 
Bezogen auf eine verhaltensbedingte Kündigung von schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigten hat das Bundesarbeitsgericht daher bereits entschieden: Unterlässt der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach § 167 Absatz 1 SGB IX (das Präventionsverfahren gilt bei schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigen für alle Kündigungsarten, wobei das BEM im Falle krankheitsbedingter Kündigungen ein besonders ausgestaltetes Präventionsverfahren ist), ist das für die Beurteilung einer Kündigung grundsätzlich dann unschädlich, wenn das Integrations- bzw. Inklusionsamt der Kündigung zugestimmt hat.
 
Aber gilt das auch für krankheitsbedingte Kündigungen von schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigten?
Die Antwort auf diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht bislang ausdrücklich offen gelassen.
 
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat in seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 10.02.2022 (Az.: 17 Sa 57/21) eine Antwort hierauf gegeben und gesagt:
 
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu verhaltensbedingten Kündigungen ist nicht auf krankheitsbedingte Kündigungen von schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigten übertragbar.
Nach Meinung der baden-württembergischen Landesarbeitsrichter sind Arbeitgeber also auch bei einer Zustimmung des Integrations- bzw. Inklusionsamts nicht von der Durchführung eines weiteren BEM befreit.

 
Begründung: Sähe man das anders, würden schwerbehinderte / gleichgestellte Beschäftigte gegenüber nicht behinderten Menschen benachteiligt. Denn das BEM gilt (anders als Präventionsverfahren im Vorfeld von anderen Kündigungsarten) ja auch für nicht schwerbehinderte / gleichgestellte Beschäftigte.
 
Da diese Frage noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde, hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
 
Aufgrund dieser Entscheidung aus Baden-Württemberg und weil Arbeitgeber damit rechnen müssen, dass das Integrations- bzw. Inklusionsamt ohne erneutes BEM gegen sie entscheidet, sind Arbeitgeber gut beraten, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung bei allen Beschäftigten ein erneutes BEM durchzuführen (und zu beenden), wenn seit Abschluss des letzten BEM wieder 12 Monate mit Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als 6 Wochen vergangen sind.
 
Nach unserem Newsletter vom 14.03.2022 wurden wir öfter gefragt, wann denn ein BEM beendet ist.
Hierauf hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 18.11.2021 (Az.: 2 AZR 138/21) folgende Antworten gegeben:

  • Ein BEM ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer:in einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll. 

  • Ein BEM ist auch dann abgeschlossen, wenn die / der Beschäftigte die Zustimmung für die (weitere) Durchführung des BEM nicht erteilt.
    Aber Achtung: Nur weil die / der Beschäftigte einem früheren BEM nicht zugestimmt hat, heißt das nicht, dass auch das neuerliche BEM abgelehnt worden wäre.

  • Wichtig ist auch: Der Arbeitgeber kann das BEM grundsätzlich nicht einseitig beenden.Gibt es aus Sicht des Arbeitgebers keine Ansätze mehr für zielführende Präventionsmaßnahmen, ist das BEM erst dann abgeschlossen, wenn auch von der / dem Beschäftigten und den im Übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze für Präventionsmaßnahmen aufgezeigt wurden.
    Wichtig ist daher außerdem: Arbeitgeber müssen der / dem Beschäftigten und den ggfs. sonst noch am BEM beteiligten Stellen ggfs. eine Frist setzen, um ihrerseits weitere Präventionsmaßnahmen aufzuzeigen.

  • Gehen die neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten auf dieselbe Erkrankung, derentwegen bereits ein BEM durchgeführt wurde, zurück, ist das laut Bundesarbeitsgericht ebenfalls kein Grund, kein erneutes BEM mehr durchzuführen.
    Vielmehr sagt das Bundesarbeitsgericht:
    „Selbst bei einer ununterbrochen andauernden Arbeitsunfähigkeit können sich, nachdem sie weitere mehr als sechs Wochen angedauert hat, neue Erkenntnismöglichkeiten für zielführende Präventionsmaßnahmen ergeben. In dem neuerlichen BEM wäre wiederum zunächst zu klären, ob gegenüber dem zuvor durchgeführten BEM Änderungen in den Krankheitsursachen, den Heilverfahren oder in den betrieblichen Umständen eingetreten sind, die überhaupt einen neuen Präventionsansatz möglich erscheinen lassen. …“

Und wie ist die Rechtslage, wenn während der Durchführung (also vor Abschluss) eines aktuellen BEM wieder 12 Monate mit mehr als 6-wöchigen Arbeitsunfähigkeitszeiten vorbei sind?
Dann können die neuerlichen Krankheitszeiten in das noch laufende BEM einbezogen werden.
Wörtlich sagt das Bundesarbeitsgericht:
 
„Kommen während eines noch laufenden BEM weitere Zeiten von Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen hinzu, verlangen Sinn und Zweck von § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX allerdings nicht die Durchführung eines parallelen zusätzlichen BEM. Dem Ziel, dem Arbeitnehmer durch eine geeignete Gesundheitsprävention möglichst sein Arbeitsverhältnis zu erhalten, ist ausreichend dadurch gedient, dass während eines noch laufenden BEM auftretende Zeiten von Arbeitsunfähigkeit sowie mögliche Veränderungen in den Krankheitsursachen oder betrieblichen Verhältnissen in dieses einbezogen werden. Ein weiteres BEM kann nur dann erforderlich werden, wenn ein vorheriges bereits abgeschlossen war.“

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