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Die neuen Waffen der Arbeitgeber gegen zweifelhafte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Zweifelhafte Arbeitsunfähigkeiten kosten Geld und belasten das Miteinander.
Arbeitgebern ist es daher schon sehr lange ein Dorn im Auge, dass die Rechtsprechung der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit einen hohen Beweiswert zuspricht; denn an der ein oder anderen AU gab es schon seit jeher Zweifel.

Herzlichen Dank daher an Claudia Tödtmann, mit der ich über dieses wichtige Thema sprechen durfte und die das Thema in ihrem Artikel für die WIWO vom 05.04.2024 aufgegriffen hat.

Gerne möchten wir das Thema noch einmal rein rechtlich beleuchten, und zwar in verschiedenen Facetten.

Bisher waren Arbeitgeber, die an der ein oder anderen AU zweifelten, ziemlich machtlos.

Dies hat sich in letzter Zeit geändert. Die Rechtsprechung und allen voran das BAG, unser höchstes deutsches Arbeitsgericht, haben den Arbeitgebern in verschiedenen Fallkonstellationen Möglichkeiten eröffnet, die Beschäftigten in die (Auskunfts-)Pflicht zu nehmen.

Den gleich dargestellten Fallkonstellationen ist eines gemein: Beschäftigte mit einer ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit sind in diesen Fällen verpflichtet, konkret Angaben zu ihren Erkrankungen zu machen.

Soweit Beschäftigte sich hierbei auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufen, genügt das laut Bundesarbeitsgericht nur, wenn sie die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden.

1. Die Erschütterung des Beweiswerts der AU

Wie schon gesagt: Ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeiten haben einen hohen Beweiswert, deshalb ist es Sache der Arbeitgeber, diesen Beweiswert zu erschüttern.
Subjektive Einschätzungen reichen hierfür nicht. Vielmehr bedarf es objektiver Umstände, die an dem Beweiswert der AU zweifeln lassen.
Die Darlegung solcher Umstände ist Arbeitgebern in der Vergangenheit sehr schwer gefallen.

Das hat sich seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 (Az.: 5 AZR 149/21) geändert:

Im konkreten Fall hatte eine Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber eine ärztliche AU vorgelegt, die vom Tag ihrer Eigenkündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dauerte.

Durch diese zeitliche Koinzidenz war der Beweiswert laut Bundesarbeitsgericht erschüttert.

Die in diesem Zusammenhang vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze für inländische AU lauten:

  • Ordnungsgemäß ausgestellten AU kommt nach wie vor ein hoher Beweiswert zu.

  • Allerdings begründet die ärztliche AU keine gesetzliche Vermutung einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit mit der Folge, dass der Arbeitgeber den Beweis des Gegenteils führen müsste. Ein bloßes Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitgeber genügt andererseits aber auch nicht.

    Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der AU nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, aus denen sich Zweifel an der Erkrankung der/des Beschäftigten ergeben.

    Was jetzt kommt ist wichtig:
    Um den Beweiswert der AU zu erschüttern, sind Arbeitgeber nicht auf die in § 275 Absatz 1a) SGB V genannten Regelbeispiele beschränkt. Nach § 275 Abs. 1a) SGB V sind insbesondere folgende Umstände geeignet, ernsthafte Zweifel am Beweiswert der AU zu begründen: Häufige oder oft nur kurze Arbeitsunfähigkeitszeiten oder der Beginn einer Arbeitsunfähigkeit, der häufig auf einen Arbeitstag am Anfang oder am Ende einer Woche fällt. Nach der aktuellen Entscheidung des BAG können sich aber auch aus dem eigenen Vortrag der/des Beschäftigten oder aus der AU selbst Umstände ergeben, die den Beweiswert der ärztlichen AU erschüttern.

    Da die Vorlage der AU keine gesetzliche Vermutung und keine Beweislastumkehr auslöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitgebers, der den Beweiswert erschüttern will, keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Dies gilt laut Bundesarbeitsgericht umso mehr, als dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat.

  • Im konkreten Fall war der Beweiswert der AU erschüttert, weil sich die Beschäftigte zeitgleich mit einer von ihr selbst ausgesprochenen Kündigung (sog. Eigenkündigung) passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist arbeitsunfähig meldete. 

  • Ist die Erschütterung des Beweiswerts geschafft, ist laut Bundesarbeitsgericht wieder die/der Beschäftige am Zug. Und das nicht zu knapp. Die/der Beschäftige muss dann nämlich konkret vortragen,
    ➡ welche Krankheit/en seit Beginn der Erkrankung vorgelegen hat/haben,
    ➡ welche gesundheitlichen Einschränkungen (auch im Hinblick auf die geschuldete Tätigkeit) bestanden haben,
    ➡ welche Verhaltensregeln oder Medikamente ärztlich verordnet worden sind und
    ➡ welche konkreten Auswirkungen die zuvor genannten Umstände auf die Arbeitsfähigkeit gehabt haben.

    Im konkreten Fall scheiterte die Arbeitnehmerin an diesen von ihr darzulegenden Voraussetzungen.

  • Diese Grundsätze sind laut Bundesarbeitsgericht – und auch das ist neu – nicht auf AUs übertragbar, die rechtmäßigerweise im Ausland ausgestellt wurden.
    Legen Beschäftigte eine im Ausland ausgestellte, ordnungsgemäße AU vor, gilt aus Gründen des Europäischen Rechts eine Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers. Es reicht dann – anders als bei im Inland ausgestellten AUs – nicht aus, dass der Arbeitgeber mit Umständen aufwarten kann, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. 

In seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 13.12.2023 (Az.: 5 AZR 137/23) hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Erschütterung des Beweiswerts einer AU im Zusammenhang mit Kündigungen zugunsten der Arbeitgeber wie folgt weiter entwickelt:

  • Der wichtigste Anknüpfungspunkt für die Erschütterung des Beweiswertes bleibt die zeitliche Koinzidenz, also die Passgenauigkeit der ärztlich festgestellten AU mit dem Ausspruch der Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist.

  • Neu ist: Der Umstand, dass Beschäftigte schon vor der Kündigung arbeitsunfähig erkrankt waren, steht der Passgenauigkeit nicht entgegen. Vielmehr gilt: Bleiben Beschäftigte, die bereits vor der Kündigung krank waren, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterhin krank, spricht grundsätzlich (insbesondere bei Langzeiterkrankungen wird man hier wohl eine Ausnahme machen müssen) ebenfalls viel für eine Erschütterung des Beweiswerts der nach Ausspruch der Kündigung vorgelegten AU.

  • Ebenfalls neu: Liegt eine Passgenauigkeit vor, macht es keinen Unterschied, ob nur eine AU oder mehrere AU für den Zeitraum vorgelegt werden. Das BAG schloss sich hier der Ansicht einiger (Landes-)Arbeitsgerichte an.

  • Die Passgenauigkeit, für die es nach dem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts jetzt die zuvor gestellten Varianten gibt, setzt grundsätzlich voraus, dass Beschäftigte nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht weiter krank sind (denn sonst wäre die AU ja auch nicht passgenau mit dem Ablauf der Kündigungsfrist).
    Insoweit dürfte es reichen, dass der Altarbeitgeber das vorträgt, was er weiß, nämlich dass die AU bis zum Beendigungstermin besteht, und es dann Sache der Beschäftigten ist, die Passgenauigkeit zu entkräften.

  • Neu ist außerdem: Auch die Tatsache, dass der Arbeitgeber kündigt (und nicht die Beschäftigten selbst), spielt nach Ansicht des BAG keine Rolle.

Arbeitgeber dürfen allerdings nicht vergessen, dass Leitplanken Grundsätze sind, und es von jedem Grundsatz Ausnahmen gibt. Und zwar in beide Richtungen.
So ist beispielsweise denkbar, dass eine der genannten Leitplanken nicht erfüllt ist (z. B. weil der Beschäftigte nach der Kündigung erst noch zwei Tage bis zur Vorlage der AU weiterarbeitet), es aber weitere Indizien gibt, die an dem Beweiswert der AU zweifeln lassen (z. B. weil der gleiche Beschäftigte gegenüber Kolleg:innen angekündigt hat, nur noch die zwei Tage „abzusitzen“ und sich dann zu verabschieden).
Umgekehrterweise kann es auch sein, dass sich ein Fall innerhalb der Leitplanken bewegt, an der AU aber aus anderen Gründen keine Zweifel bestehen (z. B. weil der Beschäftigte sich am Tag der Kündigung ein Bein bricht und der deswegen erforderliche Krankenhausaufenthalt passgenau mit Ablauf der Kündigungsfrist endet).
 
Nichts destotrotz sind diese Leitplanken ein wichtiges Instrument, um sich gegen zweifelhafte AU zur Wehr zu setzen.
 
Natürlich werden sich die neuen Leitplanken auch bei den Beschäftigten herumsprechen. Beschäftigte, die in Wahrheit nicht krank sind, werden daher in Zukunft dafür Sorge tragen, die Passgenauigkeit zu zerstören.
 
Denkbare Fälle sind z. B. die folgenden:

  • Beschäftigte melden sich nicht direkt nach Ausspruch der Kündigung, sondern erst einige Tage danach, dafür dann aber passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krank.
    Hier wird sich die Rechtsprechung fragen müssen, ob man nicht auch dann noch von einer Passgenauigkeit sprechen kann, wenn Beschäftigte bloß noch ein oder zwei Tage nach Ausspruch der Kündigung im Dienst gewesen sind.
    Denkbar ist durchaus, dass sich die Rechtsprechung dahin entwickeln wird, dass bei nur wenigen Arbeitstagen nach Ausspruch einer Kündigung der Beweiswert der AU trotzdem erschüttert ist.

  • Mit Spannung zu erwarten sind auch künftige Entscheidungen zu Fällen, in denen die Abwesenheit von Beschäftigten zwar alle Kriterien der Passgenauigkeit erfüllt, sich deren Abwesenheit aber nicht nur aus AU, sondern z. B. aus AU in Verbindung mit dem Abbau von Arbeitszeitguthaben oder der Inanspruchnahme von Resturlaub ergibt.

    Auch hier meinen wir, dass auch das Fälle sein können, in denen Arbeitgeber mit der Erschütterung des Beweiswerts der AU arbeiten können. Denn auch solche Fälle erwecken den Anschein, dass Beschäftigte es darauf anlegen, nach Ausspruch einer Kündigung nicht mehr im Betrieb zu erscheinen.

Nun betreffen allerdings die Fälle einer „Arbeitsunfähigkeit“ im Zusammenhang mit dem Ausspruch von Kündigungen nur einen Teilbereich der Fälle, in denen Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit hegen. Es bleibt daher abzuwarten, wie die Rechtsprechung und insbesondere das BAG künftig mit Fällen umgeht, in denen Beschäftigte z. B. nach einer Versetzung, Abmahnung oder einer anderen Maßnahme, die ihnen missfällt, erkranken.
In Anbetracht der Tatsache, dass das BAG in seinem eingangs zitierten Urteil vom 08.09.2021 (Az.: 5 AZR 149/21) feststellte, dass an die Erschütterung des Beweiswerts einer AU keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen, ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass Arbeitgeber in bestimmten Fällen, in denen eine AU einer unliebsamen Maßnahme auf dem Fuße folgt, mit der Erschütterung des Beweiswerts der AU arbeiten können.

2. Die Waffen des Arbeitgebers bei mehreren AU
Die Dauer der Entgeltfortzahlung beträgt grundsätzlich sechs Wochen (= 42 Kalendertage) pro Krankheit.
 
Auch Arbeitgebern, die bereits sechs Wochen Lohnfortzahlung geleistet haben, gibt die aktuelle Rechtsprechung des BAG neue Mittel und Möglichkeiten an die Hand.
Das betrifft Fälle, in denen die AU zweifelhaft ist (der Beweiswert der AU aber ggfs. noch nicht erschüttert werden kann) genauso aber Fälle von Beschäftigten, die tatsächlich arbeitsunfähig sind.
 
Bevor wir zu den Neuerungen kommen, nochmal kurz die Grundsätze:
 
Ganz einfach sind die Fälle, in denen ein Arbeitnehmer nur eine Erkrankung hat und diese für einen zusammenhängenden Zeitraum zur Arbeitsunfähigkeit führt.
In diesem Fall sind die Rechtsfolgen klar:
Ist der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen erkrankt, erhält er ab dem 43. Kalendertag keine Entgeltfortzahlung seines Arbeitgebers mehr (sondern Krankengeld von der Krankenkasse, wenn er gesetzlich krankenversichert ist).
 
Damit bleiben zwei Fälle, die nicht ganz so einfach sind:
Die Fortsetzungserkrankung und der einheitliche Verhinderungsfall.
 
a) Fortsetzungserkrankung
 
Der Sechs-Wochen-Zeitraum bezieht sich grundsätzlich auf dieselbe Erkrankung.
 
Wichtig:
Führt dieselbe Krankheit zu mehreren Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, so sind diese Zeiten zu addieren. Um dieselbe Krankheit handelt es sich auch dann, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf demselben Grundleiden beruht. Dasselbe Grundleiden kann z. B. eine Immunerkrankung oder auch eine Long-Covid-Diagnose sein, die zu unterschiedlichen Beschwerdebildern führen. Wie das Landesarbeitsgericht Köln in seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 21.09.2023 (Az.: 8 Sa 184/23) entschied, sind in der Regel auch schwangerschaftsbedingte Beschwerden auf ein einheitliches „Grundleiden“ (besser: eine einheitliche Ursache) zurückzuführen.
 
Entgeltfortzahlung erhalten Beschäftigte bei demselben Grundleiden grds. für insgesamt höchstens 42 Kalendertage.
 
Ausnahmsweise können Beschäftigte bei demselben Grundleiden für einen weiteren Zeitraum von maximal sechs Wochen Entgeltfortzahlung verlangen, wenn

  • zwischen dem Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der zweiten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate liegen oder

  • seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

Aber woher sollen Arbeitgeber wissen, ob es sich um eine Fortsetzungserkrankung handelt?
 
Und hier kommt die aktuelle Rechtsprechung des BAG ins Spiel.
 
Zwar ist es nach wie vor so, dass Arbeitgeber beweispflichtig dafür sind, dass es sich um eine Fortsetzungserkrankung (für die sie bereits sechs Wochen bezahlt haben) und keine neue Erkrankung handelt.
 
Das BAG hat den Beschäftigten aber insoweit verschärfte Mitwirkungspflichten auferlegt und außerdem entschieden, dass Arbeitgeber nicht auf die Auskünfte der Krankenkassen angewiesen sind.
 
Konkret hat das BAG in seinem Urteil vom 18.10.2023 (Az.: 5 AZR 93/22) folgende Aussagen getroffen:

  • Sind Beschäftigte innerhalb der nach § 3 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes maßgeblichen Zeiträume länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt, müssen sie darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Das kann z. B. durch eine ärztliche Bescheinigung geschehen.

  • Zum Thema ärztliche Bescheinigung sagt das Bundesarbeitsgericht in seiner aktuellen Entscheidung: „Eine erneute Erstbescheinigung, die von einem anderen Arzt ausgestellt ist, hat per se keinen Aussagewert im Hinblick auf das mögliche Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung.“

  • Bestreitet der Arbeitgeber eine neue (= andere) Erkrankung trotz der als Erstbescheinigung ausgestellten Arbeitsunfähigkeit (z. B. weil die Papier-AU von einem neuen Arzt ausgestellt wurde, die neue eAU keinen Hinweis mehr auf den ausstellenden Arzt enthält oder aus anderen Gründen) müssen die Beschäftigten Tatsachen vortragen, die den Schluss erlauben, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht.

  • Zu den Anforderungen an das, was die Beschäftigten jetzt tun müssen, sagt das Bundesarbeitsgericht in seinem aktuellen Urteil vom 18.01.2023, (Az.: 5 AZR 93/22): 

    „Er [also der Beschäftigte] muss laienhaft bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden, und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden.“ 

  • Das Bundesarbeitsgericht stellt in seinem aktuellen Urteil auch fest:

    „Beschäftigte können diese Auskünfte nicht mit Blick auf den Datenschutz verweigern, und zwar auch nicht mit Blick auf die Krankenkasse, die Arbeitgebern ja auch Auskunft über das Bestehen einer Fortsetzungs- oder Ersterkrankung erteilen muss.“

  • Vielmehr sagt das Bundesarbeitsgericht in seinem aktuellen Urteil:

    Die Mitteilung der Krankenkassen bindet weder den Arbeitgeber noch die Arbeitsgerichte!

    Die Regelung zur Mitteilungspflicht der Krankenkasse wurde vielmehr nur im Interesse des Arbeitgebers geschaffen, damit er schnell das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung feststellen kann. Die Mitteilungspflicht der Krankenkassen hat aber keinen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert. 

👉 Arbeitgeber müssen sich in Zukunft also nicht mit der Auskunft der Krankenkasse über das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung begnügen!
 
Sollte es keine eindeutige Antwort auf die Frage der Fortsetzungserkrankung gebe, gilt Folgendes:
 
Zwar muss der Arbeitnehmer, der länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist, darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt und – bestreitet der Arbeitgeber den Eintritt einer neuen Krankheit – den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung hat jedoch allein der Arbeitgeber zu tragen.
 
Das heißt im Klartext: Lässt sich nicht abschließend feststellen, ob es sich um dieselbe Erkrankung (dasselbe Grundleiden) handelt oder nicht, muss der Arbeitgeber erneut für sechs Wochen Entgeltfortzahlung leisten. Die Beweislast für eine Fortsetzungserkrankung liegt folglich beim Arbeitgeber. Und das ist ein wichtiger Unterschied zum sogenannten einheitlichen Verhinderungsfall, wo die Beweislast beim Arbeitnehmer liegt.
 
Gerade in Fällen, in denen der Arbeitnehmer nach einer längeren Erkrankung eine neue Erstbescheinigung vorlegt, kann es sich daher für Sie als Arbeitgeber lohnen, wenn Sie sich auch auf einen einheitlichen Verhinderungsfall berufen. Warum das so ist, zeigen wir Ihnen jetzt.
 
b) Einheitlicher Verhinderungsfall
 
Für unterschiedliche Krankheiten beginnt der Entgeltfortzahlungszeitraum grundsätzlich immer wieder neu; d. h. jede Krankheit löst einen neuen Entgeltfortzahlungszeitraum aus.
 
Ausnahmsweise lösen unterschiedliche Krankheiten (unabhängig von dem Grund der Erkrankung) nur einmal einen Entgeltfortzahlungsanspruch von sechs Wochen aus, wenn die Erkrankungen gleichzeitig auftreten oder sich die Krankheits-Zeiträume überlappen (sog. einheitlicher Verhinderungsfall).
 
Und hier kann die Frage, wann eine attestierte Arbeitsunfähigkeit endet, eine Rolle spielen.
 
Beispiel:
 
Arbeitnehmer C ist aufgrund einer Lungenentzündung für drei Wochen krankgeschrieben. Am letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit, einem Freitag, bricht C sich um 23:00 Uhr bei einem nächtlichen Spaziergang das rechte Bein. Aufgrund dieser (neuen) Erkrankung fällt C für weitere vier Wochen aus.
 
Frage:
Müssen Sie als Arbeitgeber auch für die letzte, siebte Woche Entgeltfortzahlung leisten?
 
Antwort:
Nein. Die Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit überlappen sich, da die erste AUB bis einschließlich Freitagnacht um 23:59 Uhr bestand, die neue Arbeitsunfähigkeit aber schon mit dem Beinbruch um 23:00 Uhr begann.
Der klassische Fall eines einheitlichen Verhinderungsfalls!

 
In der Praxis sind die Fälle eines einheitlichen Verhinderungsfalls allerdings nicht so deutlich, wie in diesem Beispielsfall.
 
Üblich ist vielmehr Folgendes:
 
Ein Arbeitnehmer war sechs Wochen lang krank und legt nach Ablauf der sechs Wochen eine neue Erstbescheinigung vor.
 
Die Erstbescheinigung soll dem Arbeitgeber signalisieren, dass gerade keine Fortsetzungserkrankung vorliegt, sondern der Arbeitnehmer einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch für sechs Wochen hat.
 
Die Praxis vieler Ärzte, Arbeitnehmer immer nur bis zum letzten Arbeitstag der Woche (in der Regel also bis zum Freitag) krankzuschreiben, verstärkt dieses Signal bedauerlicherweise. Denn wenn der erste sechswöchige Lohnfortzahlungszeitraum an einem Freitag endet und derselbe Arbeitnehmer am Montag eine neue Erstbescheinigung wegen einer anderen Erkrankung erhält, liegen auf den ersten Blick tatsächlich zwei nacheinander folgende Erkrankungen vor, selbst wenn der Arbeitnehmer am Wochenende gar nicht hätte arbeiten müssen.
 
Bei diesem „Befund“ sollten es Arbeitgeber aber nicht bewenden lassen.
 
Wie das Bundesarbeitsgericht per Urteil vom 11.12.2019 (Az.: 5 AZR 505/18) entschieden hat, sind genau diese zuhauf vorkommenden Konstellationen nämlich die Fälle, in denen ein gewichtiges Indiz für einen einheitlichen Verhinderungsfall besteht, der keine neue Lohnfortzahlungspflicht auslöst.
 
Ein einheitlicher Verhinderungsfall liegt, wie schon gesagt dann vor, wenn die neue Arbeitsunfähigkeit zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die alte Arbeitsunfähigkeit noch nicht beendet war.
 
Und ein gewichtiges Indiz für diesen einheitlichen Verhinderungsfall ist es laut Bundesarbeitsgericht, wenn – O-Ton BAG – „die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt".
 
Bei einer solchen Indizienlage, und das ist der schon genannte Unterschied zur Fortsetzungserkrankung, ist es nun Sache der Beschäftigten, den einheitlichen Verhinderungsfall zu entkräften.
 
Das heißt, dass Beschäftigte ihre gegenteilige Behauptung, es lägen zwei unabhängig voneinander bestehende Arbeitsunfähigkeiten vor, durch konkreten Vortrag zu a) den Krankheitsursachen sowie b) zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit untermauern und hierfür vollen Beweis erbringen müssen.
 
Das ist aber noch nicht alles.
 
Führt die Beweisaufnahme zu keinem eindeutigen Ergebnis, z. B. weil der als Zeuge vernommene Arzt keine genauen Erinnerungen mehr hat (das passiert übrigens häufiger als man denkt), geht dies nach den weiteren Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts zu Lasten der Beschäftigten.
 
Und genau das ist der Unterschied zum Streit über eine Fortsetzungserkrankung. Bei der Fortsetzungserkrankung ist es zwar ebenfalls so, dass die Beschäftigten (wenn es Indizien für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung gibt) darlegen müssen, dass eben keine Fortsetzungserkrankung vorliegt und im Bestreitensfall den Arzt von seiner Schweigepflicht entbinden müssen. Wird durch die Beweisaufnahme, also insbesondere durch die Vernehmung des behandelnden Arztes, die Fortsetzungserkrankung nicht eindeutig bestätigt, geht dies aber zu Lasten des Arbeitgebers und nicht, wie beim einheitlichen Verhinderungsfall, zu Lasten der Beschäftigten.
 
Bei Fortsetzungserkrankungen und/oder einem einheitlichen Verhinderungsfall können und dürfen Arbeitgeber also erstmal die Beschäftigten in die Pflicht nehmen. Und solange nicht geklärt ist, dass es sich nicht um eine Fortsetzungserkrankung und/oder nicht um einen einheitlichen Verhinderungsfall handelt, können sie von ihrem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen und erstmal keine Entgeltfortzahlung leisten.

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