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Kleine Reihe Elternzeit Teil 3: Fiktion und Wahrheit

Sie kennen das alle: Auf den ersten Blick ist alles klar und plausibel, aber dann kommen peu á peu Fragen und Unsicherheiten auf. Da hilft meist nur Eines: Die Dinge in ihre Einzelteile und Einzelfragen zu zerlegen und nacheinander „abzuarbeiten“. Das empfiehlt sich auch im Umgang mit Elternzeitangelegenheiten. Und die werden aus Arbeitgebersicht mit steigender Anzahl von Kindern pro Arbeitnehmer immer schwieriger, weil komplexer. Ohne Kalender und Notizen ist man da schnell auf verlorenem Posten.

Heute möchten wir mit Ihnen einen Fall durchgehen, der so oder so ähnlich häufig vorkommt und einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts entnommen ist (Urteil vom 05.09.2023, Az.: 9 AZR 329/22). Das Urteil der Vorinstanz, des LAG Berlin-Brandenburg vom 20.07.2022 (Az. 4 Sa 847/21) kennen Sie bereits: In unserem Newsletter vom 15.12.2022 hatten wir darüber berichtet und bereits erklärt, dass zu Unrecht abgelehnte Elternteilzeit für den Arbeitgeber teuer werden kann.

An unser Versprechen von damals, uns zu melden, wenn sich das BAG zu § 1 Abs. 5 KSchG äußert, halten wir uns. Wir haben den Fall für Sie vereinfacht und möchten einige praxisrelevanten Aspekte gerne mit Ihnen durchgehen:

Es geht – wie so oft – um Geld, und zwar in Höhe der Vergütung während Zeiten einer vom Arbeitgeber nicht gewährten Elternteilzeit, in der der Arbeitnehmer nicht beschäftigt wurde.



Ein Arbeitnehmer=Kläger mit einer Vollzeitstelle hat zwei Kinder: Eine Tochter, am 21.01.2016 geboren, und einen Sohn, am 03.07.2017 geboren. Vom 03.08.2018 bis zum 02.12.2019 hatte er Elternzeit für seine Tochter und arbeitete 30 Stunden in Elternteilzeit.

Der Kläger behauptete, im Mai 2019 folgenden Antrag gestellt zu haben: Verlängerung der Elternzeit bezogen auf die Tochter bis zum 20.01.2021 sowie Teilzeit während der Elternzeit bezogen auf seinen Sohn vom 21.01.2021 bis zum 20.12.2022. Eine Reaktion des Arbeitgebers gab es darauf nicht. Der Kläger meinte: Weil der Arbeitgeber gar nicht reagierte, gilt die „Fiktion der Zustimmung“ des § 15 Abs. 7 S. 5 BEEG („Hat ein Arbeitgeber … nicht schriftlich abgelehnt, gilt die Zustimmung als erteilt.“). „Pustekuchen“ sagt das Bundesarbeitsgericht und schaut ganz genau hin:
In Wahrheit hatte der Kläger hier zwei Anliegen in einem Schreiben zusammengefasst: Erstens die Verlängerung einer schon bestehenden Elternzeit für die Tochter und zweitens im Anschluss daran eine Elternteilzeit für den Sohn. Die Fiktion der Zustimmung kennt das Gesetz aber nur mit Blick auf den Antrag einer Elternteilzeit. Im Gegensatz dazu muss der Arbeitgeber einer Verlängerung der Elternzeit gem. § 16 Abs. 3 BEEG immer ausdrücklich zustimmen. Wenn – wie hier – beides zusammengefasst wird, ist das ein einheitlicher Antrag, und der kann nur einheitlich angenommen oder abgelehnt werden. Eine Zustimmungsfiktion, die eine Annahme ersetzt, kann dann auch nur einheitlich für den gesamten Antrag gelten. Und das geht nicht, wenn ein Teil des Antrags keine Fiktion kennt, sondern explizit angenommen werden muss.
Fazit: Es gab keine fingierte Zustimmung zu diesem „Doppelantrag“, er lief ins Leere.

Der Fall geht weiter:
Während der laufenden Elternteilzeit für die Tochter, im August 2019, einigte sich der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat im Zuge einer Verlagerung/Umstrukturierung und einem damit einhergehenden Stellenabbau auf einen Interessenausgleich und Sozialplan. Dem Interessenausgleich war eine Namensliste beigefügt, auf der die zu entlassenden Arbeitnehmer genannt waren. „Unser“ Arbeitnehmer stand auch auf dieser Liste. Gekündigt wurde er aber wegen seines Sonderkündigungsschutzes nicht.

Kurz darauf, am 17.09.2019, machte der Arbeitnehmer ein weiteres Mal Elternzeit geltend (wahrscheinlich, weil er wusste, dass mit seinem Antrag aus Mai 2019 etwas nicht stimmte), und zwar diesmal für seinen Sohn; diese sollte sich nahtlos am 03.12.2019 an die bestehende Elternzeit für die Tochter anschließen und bis zum 02.11.2021 dauern. Auch für diese Elternzeit beantragte er Elternteilzeit von 30 Stunden/Woche.
Diesen Antrag lehnte der Arbeitgeber unter Verweis auf dringende betriebliche Gründe fristgerecht ab und beschäftigte den Kläger nicht. Seine Gründe für die Ablehnung erläuterte der Arbeitgeber auch und verwies auf eine Verlagerung von Tätigkeiten ins Ausland. Allerdings war bereits die Vorinstanz überzeugt, dass auch nach weiterem Vortrag im Prozess zwingende Hindernisse einer Beschäftigung des Klägers während der Elternzeit nicht entgegenstanden.
Nun kam es entscheidend auf ein weiteres Argument des Arbeitgebers an: § 1 Abs. 5 KSchG. Diese Vorschrift aus dem Kündigungsschutzgesetz besagt, dass bei der Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund einer Betriebsänderung vermutet wird, dass die Kündigung „durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist“, wenn der Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich mit Namensliste namentlich genannt ist. Der Arbeitgeber erstreckte diese Vermutungswirkung auf den Elternteilzeitantrag des Klägers. Argument des Arbeitgebers: Wenn bei einem Interessenausgleich mit Namensliste die dringenden betrieblichen Erfordernisse für eine Kündigung vermutet werden, dann wohl erst recht für die Ablehnung eines Elternteilzeitantrags.

Das Bundesarbeitsgericht sieht das aber (wie auch schon die Vorinstanz) anders: Wenn wie hier eine Kündigung des Arbeitnehmers aus Rechtsgründen unterblieben ist, kann § 1 Abs. 5 KSchG nicht für die Ablehnung der Teilzeit herhalten. Eine der Kernaussagen: Die Fallkonstellationen „betriebsbedingte Kündigung“ und „befristete Beschäftigung zu einer gewünschten verringerten Arbeitszeit“ seien nicht hinreichend vergleichbar. Das zeige schon der unterschiedliche Wortlaut („dringende betriebliche Erfordernisse“ vs. „dringende betriebliche Gründe“), werde aber besonders durch die Systematik deutlich: Im Kündigungsschutzrecht gehe es darum, dass die in einer Namensliste genannten Arbeitnehmer dauerhaft (gar) nicht weiterbeschäftigt werden können. Im Recht der Elternzeit hingegen komme es nur darauf an, ob einer befristeten Beschäftigung zu der gewünschten verringerten Arbeitszeit dringende betriebliche Gründe entgegenstehen. Die betrieblichen Gründe im BEEG bezögen sich auf die Verringerung und damit den Umfang der Beschäftigung oder die Verteilung der Arbeitszeit und nicht wie bei § 1 Abs. 5 KSchG auf die Beschäftigung als solche. Das Bezugsobjekt sei also ein anderes. Die Fiktionswirkung von § 1 Abs. 5 KSchG greift hier also nicht.

Ein für den Arbeitgeber ärgerliches Ergebnis, denn er musste einen 6-stelligen Betrag nachzahlen, obwohl (besser: gerade weil) er den Arbeitnehmer nicht beschäftigt hatte. „Dumm gelaufen“, könnte man sagen. Der Fall zeigt einmal mehr, wie schwierig es ist, Elternteilzeit abzulehnen. Der Arbeitgeber hätte hier gut daran getan, seine Ablehnungsgründe noch genauer zu prüfen und den Arbeitnehmer (wie er es dann auch ab November 2021 getan hat) wunschgemäß in Teilzeit zu beschäftigten.

Was lernen wir daraus?

  • Prüfen Sie alle Erklärungen rund um Elternzeit und Elternteilzeit genau: Gibt es mehrere Bestandteile? Wie verhalten diese sich zueinander? Muss ich reagieren? Wenn ja: Wie?
  • Die Hürde für die Ablehnung einer Elternteilzeit aus dringenden betrieblichen Gründen ist und bleibt sehr, sehr hoch. Wie wir jetzt wissen, reicht auch der Verweis auf einen Interessenausgleich mit Namensliste nicht. Vielmehr wird in einer gerichtlichen Auseinandersetzung sehr genau von den Arbeitsgerichten geprüft, ob tatsächlich keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht. 

Und wenn Sie zu dem Thema mehr wissen möchten: Hier finden Sie alle Informationen zu unserer Veranstaltungsreihe „Eltern im Unternehmen“.

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