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Vertrauensarbeitszeit

In unserem 3. Newsletter 2024 soll es um das Thema Vertrauensarbeitszeit gehen.
Denn wie Sie aus unserem Newsletter vom 17.10.2023 wissen, ist der Streit um die Erfassung der Vertrauensarbeitszeit einer der Gründe, warum es immer noch kein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung gibt.

Anlass für uns, von dem gerade erst veröffentlichten Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.01.2023 (Az.: 3 Sa 207/22) zu berichten.

In dem Fall ging es kurz gesagt um die Klage eines ehemaligen Arbeitnehmers mit Vertrauensarbeitszeit, der noch mehrere hundert Überstunden bezahlt bekommen wollte.
In dem beklagten Unternehmen war Vertrauensarbeitszeit – wie so oft – sinngemäß so definiert:
Es gilt eine regelmäßige Arbeitszeit von (im konkreten Fall) 40 Stunden, wobei der Beschäftigte die Verteilung der Arbeitszeit ebenso wie Beginn und Ende seiner täglichen Arbeitszeit „aufgabengerecht“ selbst vornehmen konnte.

Solche Formulierungen sind häufig Anlass für Diskussionen.
Während Arbeitgeber meinen, dass die Flexibilität, die mit einer solchen Regelung einhergeht, das Entstehen von Überstunden verhindern müsse, leisten die Beschäftigten in diesem Arbeitszeitmodell häufig mehr als die vereinbarte Stundenzahl und verlangen am Ende die Abgeltung der – nach eigener Aufzeichnung – geleisteten Überstunden.



Zwar hat der Arbeitnehmer den Rechtsstreit in diesem Fall verloren. Als Verlierer ging er aber nur deshalb vom Platz, weil es ihm (ähnlich wie vielen anderen Beschäftigten) nicht gelang, konkret darzulegen, dass die von ihm geltend gemachten Überstunden vom Unternehmen angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeiten notwendig waren.

Der Grund für den verlorenen Prozess war also nicht die Vertrauensarbeitszeit.

Vertrauensarbeitszeit in dem zuvor beschriebenen und hierzulande weitverbreiteten Sinn bedeutet also nicht, dass es keine ausgleichspflichtigen Überstunden geben kann.

In dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.01.2023 (Az.: 3 Sa 207/22) liest sich das so:

„Vertrauensarbeitszeit (…) schließt weder die Abgeltung eines aus Mehrarbeit des Arbeitnehmers resultierenden Zeitguthabens aus, noch bedeutet sie, dass ein Anspruch auf Vergütung von Überstunden generell nicht bestünde. Hat der Arbeitnehmer es durch den Umfang der vom Arbeitgeber zugewiesenen Arbeit schlichtweg nicht mehr in der Hand, „Überstunden“ durch die Selbstbestimmung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit „auszugleichen“, sind diese zu vergüten (BAG, Urteil vom 26.06.2019 – 5 AZR 452/18 –, juris Rdnr. 31). „Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet (…) nur, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen; die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit steht mithin weder der Führung eines Arbeitszeitkontos entgegen noch schließt sie die Abgeltung eines aus Mehrarbeit des Arbeitnehmers resultierenden Zeitguthabens aus (BAG, Urteil vom 23.09.2015 – 5 AZR 767/13 –, juris Rdnr. 31m.w.N.). “

Eine wirkliche juristische Neuigkeit ist das allerdings nicht. Denn vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hatte das Bundesarbeitsgericht per Urteil vom 26.06.2019 (Az.: 5 AZR 452/18) bereits genauso entschieden. Lustigerweise ging es in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall um einen Rechtsstreit zwischen der Gewerkschaft ver.di und einem ihrer Gewerkschaftssekretäre mit Vertrauensarbeitszeit (selbst ver.di wollte wegen der Vertrauensarbeitszeit also Überstunden nicht bezahlen).
Schon damals sagte das Bundesarbeitsgericht:

„Vertrauensarbeitszeit schließt indes weder die Abgeltung eines aus Mehrarbeit des Arbeitnehmers resultierenden Zeitguthabens aus (…), noch bedeutet sie, dass ein Anspruch auf Vergütung von Überstunden generell nicht bestünde. Hat der Arbeitnehmer es durch den Umfang der vom Arbeitgeber zugewiesenen Arbeit schlichtweg nicht mehr in der Hand, „Überstunden“ durch die Selbstbestimmung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit „auszugleichen“, sind diese – soweit sie nicht auf einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden – nach § 611 Abs. 1, § 611a Abs. 2 BGB oder – fehlt es an einer ausdrücklichen Vergütungsvereinbarung – nach § 612 Abs. 1 BGB zu vergüten.“

Zugegeben: Beschäftigten mit einer Vertrauensarbeitszeit wird es noch schwerer als Beschäftigten ohne Vertrauensarbeitszeit fallen, für jede einzelne Überstunde nachvollziehbar darzulegen, dass sie vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeiten notwendig gewesen sind.

Andererseits: Vor diesem vergütungsrechtlichen Hintergrund könnte eine Erfassungspflicht einer Vertrauensarbeitszeit, der eine regelmäßige Arbeitszeit zugrunde liegen soll, dazu beitragen, dass Unternehmen von Überstundenprozessen von Vertrauensarbeitszeitlern nicht kalt erwischt werden.

Hinzu kommt, dass das Bundesarbeitsgericht ebenfalls entschieden hat, dass Arbeitgeber nach bestehender Rechtslage auch bei einer Vertrauensarbeitszeit die Verantwortung für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes tragen. Wörtlich heißt es in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 06.05.2003 (Az.: 1 ABR 13/02):

„Auch wenn der Betriebsrat einem Arbeitszeitmodell zugestimmt hat, bei dem auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet wird (Vertrauensarbeitszeit), hat der Arbeitgeber seinen Betrieb so zu organisieren, dass die gesetzlichen und tariflichen Höchstarbeitszeitgrenzen – und im Streitfall der mit dem Betriebsrat vereinbarte Höchstumfang von Mehrarbeitsstunden – eingehalten werden. …“

Sicher wird es auch nach dem neuen Arbeitszeitgesetz arbeitszeitliche Höchstgrenzen geben. Und ob der Gesetzgeber bereit ist, die Verantwortung für deren Einhaltung bei einer Vertrauensarbeitszeit komplett vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer zu verschieben, ist sicher fraglich.

Auch vor diesem Hintergrund könnte die Arbeitszeiterfassung bei Vertrauensarbeitszeit durchaus Sinn machen.

 

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