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Massenentlassungsanzeige – der Vorlagebeschluss des BAG ist da!

In unserem Newsletter vom 21.12.2023 hatten wir bereits berichtet, dass der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts die bisherige Rechtsprechung zu den Konsequenzen von Fehlern bei der Massenentlassungsanzeige ändern möchte.
Fehler bei der Massenentlassungsanzeige (und die Massenentlassungsanzeige ist ja enorm fehlerträchtig) sollen in Zukunft nicht mehr zur Unwirksamkeit der Kündigung führen!

Da dieser Vorstoß auch die Rechtsprechung des 2. Senats des Bundesarbeitsgerichts tangiert, hat der 6. Senat per Vorlagebeschluss vom 14.12.2023 [Az.: 6 AZR 157/22(B)] den 2. Senat gefragt, ob er das genauso sieht oder an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalten möchte.

Seit wenigen Tagen liegt der Vorlagebeschluss des 6. Senats an den 2. Senat nun im Volltext vor.

Hieraus ergeben sich folgende weitere Erkenntnisse:

  • Nach der bisherigen Rechtsprechung verstoßen bestimmte (dazu am Ende mehr) Fehler bei der Massenentlassungsanzeige gegen § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches, also gegen ein gesetzliches Verbot.
    In seinem Vorlagebeschluss begründet der 6. Senat sehr ausführlich, dass die Vorschriften über die Massenentlassungsanzeige in § 17 Abs. 1 und Abs. 3 des Kündigungsschutzgesetzes schon die Anforderungen an ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht erfüllen.

  • Selbst wenn man die gerade genannten Bestimmungen in § 17 Abs. 1 und Abs. 3 des Kündigungsschutzgesetzes weiterhin als Verbotsgesetz einordnen möchte, könne die Rechtsfolge von Fehlern bei der Massenentlassungsanzeige trotzdem nicht die Nichtigkeit der Kündigung sein. Vielmehr sei das scharfe Schwert der Nichtigkeit unverhältnismäßig bzw. ein unverhältnismäßiger Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit.
    Wörtlich sagt der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichtes:
    „Die bisher vom Bundesarbeitsgericht als Sanktion angenommene Nichtigkeit der Kündigung führt dagegen unter Außerachtlassen der Konzeption des § 17 KSchG zu einem Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers. Ein solcher Eingriff geht über das hinaus, was zur Durchsetzung des Ziels des Anzeigeverfahrens, die sozio-ökonomischen Auswirkungen von Massenentlassungen zu mildern, erforderlich ist. Darum ist für die arbeitsrechtliche Sanktion der Nichtigkeit der unter Verstoß gegen die zum Arbeitsförderungsrecht gehörenden Pflichten aus § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG (…) erklärten Kündigung nach Auffassung des 6. Senats entgegen seiner bisherigen Überzeugung kein Raum.“

  • Ebenso wenig kann nach Meinung des 6. Senats eine Nichtigkeit der Kündigung bei Fehlern in der Massenentlassungsanzeige auf § 18 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes gestützt werden. Zwar gilt nach § 18 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes, dass Entlassungen vor Ablauf der Sperrfrist nur mit Zustimmung der Arbeitsverwaltung „wirksam“ werden. Darin liegt laut 6. Senat jedoch kein behördliches Genehmigungsverfahren, wie wir es insbesondere bei der Kündigung von schwerbehinderten oder schwangeren Beschäftigten kennen.

  • Europarechtliche Bedenken bezogen auf die von ihm beabsichtigte Rechtsprechungsänderung sieht der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts ebenfalls nicht und begründet das ausführlich. 

Wenn sich die vom 6. Senat angekündigte Rechtsprechungsänderung durchsetzt, sind auch folgende Dinge, die sich aus dem Vorlagebeschluss ergeben, für die betriebliche Praxis wichtig: 

  • In Zukunft würden dann alle denkbaren Fehler im Anzeigeverfahren nicht mehr zur Nichtigkeit der Kündigung führen.
    O-Ton des 6. Senats in seinem Vorlagebeschluss:
    „Nach Überzeugung des sechsten Senats kann die erforderliche Stringenz nur dadurch gewonnen werden, dass alle denkbaren Fehler im Anzeigeverfahren nicht zur Nichtigkeit der Kündigung führen.“

  • Demgegenüber soll es nach Meinung des 6. Senats bei Fehlern im Konsultationsverfahren (also bei Fehlern bei der Beteiligung des Betriebsrats im Zusammenhang mit Massenentlassungen) weiterhin bei der Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches bleiben. 

Das sind doch bezogen auf die so fehlerträchtigen Massenentlassungsanzeigen gute Nachrichten für Arbeitgeber.
 
Bleibt nur zu hoffen, dass sich der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts dem 6. Senat anschließt.
 
Bis dahin sollten Arbeitgeber bei der Massenentlassungsanzeige sicherheitshalber der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgen.
Auch hierzu ist der Vorlagebeschluss im Übrigen hilfreich, weil er die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Folgen von Fehlern bei der Massenentlassungsanzeige noch einmal sehr schön zusammenfasst.
Und das liest sich im Vorlagebeschluss so: 

  • Wird überhaupt keine Massenentlassungsanzeige erstattet, hat dies stets die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge (BAG 19. Mai 2022 – 2 AZR 467/21 – Rn. 13; 20. Januar 2016 – 6 AZR 601/14 – Rn. 18, BAGE 154, 53).

  • Unterlaufen dem Arbeitgeber Fehler im Zusammenhang mit der sich aus § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG ergebenden Einbindung des Betriebsrats in das Anzeigeverfahren, ist die Kündigung ebenfalls nichtig (BAG 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19 – Rn. 135 ff., BAGE 170, 244; 22. November 2012 – 2 AZR 371/11 – Rn. 42 ff., BAGE 144, 47).

  • Auch Fehler bei den sog. Muss-Angaben iSv. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG führen zur Nichtigkeit der Kündigung (zuletzt BAG 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19 – Rn. 92 ff., BAGE 169, 362).

  • Dagegen haben Fehler bei den sog. Soll-Angaben iSv. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG keine Nichtigkeit der Kündigung zur Folge. Das gilt sowohl bei deren gänzlichem Fehlen (BAG 19. Mai 2022 – 2 AZR 467/21 – Rn. 12 ff.; 19. Mai 2022 – 2 AZR 424/21 – Rn. 11 ff.) als auch bei inhaltlich falschen oder unzureichenden Angaben (BAG 11. Mai 2023 – 6 AZR 267/22 – Rn. 41).

  • Übermittelt der Arbeitgeber dem Betriebsrat entgegen § 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG keine Abschrift der an die Agentur für Arbeit erstatteten Anzeigen, lässt das die Wirksamkeit der Kündigung unangetastet (BAG 8. November 2022 – 6 AZR 15/22 – Rn. 79 ff.; 8. November 2022 – 6 AZR 16/22 – Rn. 74 ff.).

  • Ungeklärt ist lediglich noch, welche Folgen der Verstoß gegen die Verpflichtung des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der Agentur für Arbeit gleichzeitig mit der Anzeige eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, hat (Vorlagebeschluss BAG 27. Januar 2022 – 6 AZR 155/21 (A) -; sh. dazu die Entscheidung EuGH 13. Juli 2023 – C-134/22 - [G GmbH]).
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