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Brandaktuelles vom BAG zur Abrufarbeit

Beschäftigte nur auf Abruf arbeiten zu lassen, hört sich verlockend an. Groß ist die Verlockung aber nur für Arbeitgeber. Denn könnten Beschäftigte tatsächlich nur so eingesetzt und bezahlt werden, wie sie gebraucht werden, würden sie voll ins unternehmerische Risiko laufen.
Und da das unternehmerische Risiko in Arbeitsverhältnissen beim Arbeitgeber liegt, hat der Gesetzgeber der Arbeit auf Abruf enge Grenzen gesetzt.
Mit Wirkung ab dem 01.01.2019 sind diese gesetzlichen Grenzen, die der Gesetzgeber in § 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes aufgestellt hat, sogar noch einmal verschärft worden.
Seither gilt für die Arbeit auf Abruf nämlich unter anderem:
Der Arbeitsvertrag muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und der täglichen Arbeitszeit festlegen. Und schlimmer: Wird keine wöchentliche Arbeitszeit festgelegt, gilt eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart!

Und genau über einen solchen Fall, in dem die wöchentliche Arbeitszeit nicht bestimmt war, musste das Bundesarbeitsgericht gestern entscheiden.

Wesentlicher Streitpunkt war allerdings nicht die Frage, ob Beschäftigte mit einem solchen Vertrag, die weniger als 20 Wochenstunden arbeiten, für 20 Stunden bezahlt werden müssen; das ergibt sich ja bereits aus dem Gesetz.

Gestritten wurde vielmehr darüber, ob Arbeitgeber verpflichtet sind, Beschäftigte mit einem solchen Vertrag (also einem Vertrag, der die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festlegt), dauerhaft für mehr als 20 Wochenstunden zu beschäftigten bzw. zu bezahlen, wenn sie die Arbeitsleistung für eine Zeit lang mehr als 20 Stunden/Woche abgerufen haben.
Im konkreten Fall war die Arbeitnehmerin in den ersten Jahren ihres Beschäftigungsverhältnisses (2017 bis 2019) durchschnittlich mehr als 20 Wochenstunden zur Arbeit abgerufen worden.
Im Jahr 2020 ging der Abruf ihrer Arbeitsleistung dann zurück.
Damit wollte die Arbeitnehmerin sich nicht zufriedengeben und klagte. Mit ihrer Klage wollte sie erreichen, dass sie auch in den Jahren 2020 ff. auf der durchschnittlichen Basis der Jahre 2017 bis 2019 beschäftigt und vor allem vergütet wird.

Sowohl in 1. Instanz (Arbeitsgericht Bielefeld) als auch in 2. Instanz (Landesarbeitsgericht Hamm) hatte die Arbeitnehmerin damit keinen Erfolg.
Die Hammer Landesarbeitsrichter begründeten das im Wesentlichen so:
Aus § 12 Absatz 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes könne die Arbeitnehmerin nur eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden herleiten. Für eine konkludente Vereinbarung einer darüberhinausgehenden Arbeitszeit fehlten im konkreten Fall Anhaltspunkte. Und zwar u. a. deshalb, weil die Zeiten, in denen die Arbeitnehmerin auch in den ersten 3 Jahren, auf die sie sich für ihre Durchschnittsbetrachtung bezog, zur Arbeitsleistung herangezogen wurde, sehr schwankend waren.

Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht in seinem am 18.10.2023 verkündeten Urteil (Az.: 5 AZR 22/23) angeschlossen.
Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung u. a.:

„Wird die anfängliche arbeitsvertragliche Lücke zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die gesetzliche Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geschlossen, können die Parteien in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren. Dafür reicht aber das Abrufverhalten des Arbeitgebers in einem bestimmten, lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum nicht aus. Allein dem Abrufverhalten des Arbeitgebers kommt ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dahingehend, er wolle sich für alle Zukunft an eine von § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden, nicht zu. Ebenso wenig rechtfertigt allein die Bereitschaft des Arbeitnehmers, in einem bestimmten Zeitraum mehr als nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geschuldet zu arbeiten, die Annahme, der Arbeitnehmer wolle sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen binden.“

Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bleibt es daher dabei, dass die Klage der Arbeitnehmerin nur zum Teil, nämlich nur in Höhe der Vergütungsdifferenz zu den nach § 12 Absatz 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes fingierten 20 Wochenstunden Erfolg hatte.

Der Arbeitgeber ist also noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.

Richtig übel hätte die Sache für den Arbeitgeber ausgehen können, wenn er einen solchen Arbeitsvertrag ohne Festlegung der wöchentlichen Arbeitszeit mit geringfügig Beschäftigten abgeschlossen hätte.
Denn dann hätte er den Beschäftigten den Mindestlohn von aktuell EUR 12,00/Stunde für 20 Wochenstunden zahlen müssen und damit die Verdienstgrenze für Minijobber gesprengt!

Daraus folgt:

  • Arbeitgeber tun sehr gut daran, mit Teilzeitkräften eine wöchentliche Arbeitszeit zu vereinbaren.
    Das können im Übrigen auch weniger als 20 Wochenstunden sein. Wichtig ist nur, dass es eine Vereinbarung über die Länge der wöchentlichen Arbeitszeit gibt. Gibt es das nicht, werden die 20 Wochenstunden vom Gesetz fingiert und Minijobber sind plötzlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte!

  • Etwas Flexibilität gibt es für Arbeitgeber, die dem Rat folgen und eine wöchentliche Arbeitszeit vereinbaren, durch § 12 Absatz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. Dort heißt es:

    „Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Mindestarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen.“

  • Arbeitgeber tun außerdem gut daran, auch die übrigen Voraussetzungen des § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetzes einzuhalten. Damit spielen wir insbesondere auf die 4-tägige Ankündigungsfrist des § 12 Absatz 3 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes sowie den Arbeitseinsatz von mindestens 3 aufeinanderfolgenden Stunden nach § 12 Absatz 1 Satz 4 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes an. Denn sonst laufen Arbeitgeber Gefahr, dass Beschäftigte ihre Leistungen zu Recht verweigern.

  • Übrigens: § 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes in seiner mit Wirkung ab dem 01.01.2019 reformierten Version ist auf alle Fälle anwendbar, in denen der Arbeitsvertrag oder eine Änderungsvereinbarung, die wie ein Neuvertrag zu werten ist, ab dem 01.01.2019 geschlossen worden ist.

Die gute Nachricht für Arbeitgeber, die die gesetzlichen Voraussetzungen für Abrufarbeit nicht einhalten ist lediglich: Ein Abrufarbeitsverhältnis liegt auch dann vor, wenn die Grundregeln von § 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes nicht eingehalten werden.

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