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Wo bleibt das Gesetz zur Arbeitszeiterfassung?
Was sollen Unternehmen derweil tun?

Am 18.04.2023 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Referentenentwurf zur Erfassung der Arbeitszeiten vorgelegt, über den wir unserem Newsletter vom 19.04.2023 berichtet hatten.

Seither werden wir von unseren Mandanten immer wieder nach dem Stand der Dinge bzw. des Gesetzgebungsverfahrens gefragt.
Zeit also für ein Zwischenfazit.

Tatsache ist, dass es noch kein Gesetz, ja noch nicht einmal einen „finalen“ Gesetzesentwurf der Ampel-Regierung gibt.
Und es sieht aktuell auch nicht danach aus, als würde sich hieran noch in diesem Jahr etwas ändern. Zu unterschiedlich sind die Meinungen darüber, wie flexibel Deutschland in Bezug auf die Erfassung der Arbeitszeiten, aber auch in Bezug auf die aktuell geregelten Höchstarbeitszeiten sein sollte.
So fordert insbesondere die CDU/CSU-Fraktion eine flexiblere und weniger bürokratische Erfassung von Arbeitszeiten als der Referentenentwurf das bisher vorsieht. Die CDU/CSU-Fraktion macht sich außerdem dafür stark, dass die im aktuellen Arbeitszeitgesetz festgeschriebene tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit, wie sie auch die EU-Richtlinie 2003/88/EG vorsieht, ersetzt wird. Konkret fordert die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Ende Mai an den deutschen Bundestag gerichteten Antrag:

[...] unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Reform der Arbeitszeiterfassung vorzulegen,

  1. der einerseits die Vorgaben des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 (C-55/18) beachtet und die Vorgaben des BAG-Beschlusses vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21) umsetzt und der andererseits gleichzeitig die Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeiterfassung vollständig ausschöpft;
  2. der freiwillige Vertrauensarbeitszeitmodelle im Rahmen des EU-Rechts ohne Pflicht zur Arbeitszeiterfassung weiterhin überall dort ermöglicht, wo es praktikabel ist;
  3. der beinhaltet, dass den Arbeitgebern freies Ermessen bei der Auswahl der Arbeitszeiterfassungssysteme und deren betrieblicher Anwendung belassen wird und der die Arbeitszeiterfassung nicht in elektronischer Form vorschreibt, sondern auch alternative Formen der Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitgeber ermöglicht;
  4. der keine taggenaue Erfassung der Arbeitszeiten zwingend vorsieht;
  5. der die Möglichkeit belässt, die Pflicht zur verlässlichen Aufzeichnung der Arbeitszeiten auf die betreffenden Arbeitnehmer zu delegieren;
  6. der praxistauglich umsetzbar ist und dafür Sorge trägt, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen, sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern keine unnötigen bürokratischen Lasten oder Kosten auferlegt werden;
  7. der insbesondere flexible und moderne Arbeitszeitmodelle ermöglicht, indem im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG), ausgenommen bei gefahrgeneigten Tätigkeiten, wöchentliche statt täglicher Höchstarbeitszeiten eingeführt werden und die Möglichkeiten der Flexibilisierung der Arbeitszeiten im Rahmen der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) zum Vorteil der Beschäftigten und der Betriebe vollständig ausgenutzt werden und nicht nur in wenigen begrenzten Fällen, wie im derzeit geltenden Arbeitszeitgesetz.

Punkt 7 (den Wechsel von einer täglichen zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit) begründet die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Antrag folgendermaßen:
 
„Der starre Acht-Stunden-Tag erscheint angesichts der stärkeren Verbreitung von mobilem Arbeiten, Vertrauensarbeitszeitmodellen und dem Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance der Arbeitnehmer nicht mehr zeitgemäß. Sie benötigen ein modernes und flexibles Arbeitszeitrecht, um Familie, Kinderbetreuung, Kindererziehung, Pflege und Beruf besser miteinander zu vereinbaren. […]“
 
Infolgedessen wurde das Thema vom Bundestag in den Ausschuss für Arbeit und Soziales verwiesen.
Dort fand am 09.10.2023 eine Anhörung von diversen Sachverständigen statt. Zu den Sachverständigen gehören Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie auch Jura-Professoren.
 
Eine einheitliche Linie gab es aber auch bei den Sachverständigen nicht.
Besonders groß waren die Meinungsunterschiede bei der Erfassungspflicht von Vertrauensarbeitszeit und der künftigen Regelung der Höchstarbeitszeit (täglich wie bisher oder wöchentlich?). Die Kritiker einer größeren Flexibilisierung führten insbesondere den Gesundheitsschutz ins Feld.
 
Infolgedessen steht zu befürchten, dass sich auch die Ampelkoalitionäre nicht so schnell zu einem Gesetzesentwurf werden durchringen können. Denn schon vor dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion hatte ja bereits die FDP gesagt, dass der Referentenentwurf so nicht bleiben könne.
 
Für die betriebliche Praxis ist dieser Zustand natürlich sehr unbefriedigend. Zwar wissen die meisten Unternehmen seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022 (Az.: 1 ABR 22/21), über das wir in unserem Newsletter vom 05.12.2022 berichtet hatten, dass die Arbeitszeit nach § 3 Absatz 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes erfasst werden muss. Viele Unternehmen möchten aber wissen, wie die Arbeitszeit der Beschäftigten erfasst werden muss. Und das zu regeln ist Sache des Gesetzgebers.
 
Was also sollen Arbeitgeber angesichts der Unentschlossenheit des Gesetzgebers tun? Nichts zu tun und auf den Gesetzgeber zu warten, ist aus folgenden Gründe keine gute Lösung:

  • Die Erfassungspflicht als solches (also das „Ob“ der Arbeitszeiterfassung) steht seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022 fest.
  • Da es noch kein Gesetz zur Erfassungspflicht gibt, ist die "Nicht-Erfassung" noch nicht mit einem Bußgeld belegt.
    Aber: Es gibt in diversen Bundesländern bereits einige Gewerbeaufsichtsämter, die die Arbeitszeiterfassungspflicht aufgrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts prüfen und den Unternehmen im Rahmen ihrer Befugnisse Fristen zur Umsetzung der Erfassungspflicht setzen; und wenn die behördliche Anordnung nicht befolgt wird, kann es auch ein Bußgeld geben.
  • Unternehmen mit einem Betriebsrat müssen außerdem damit rechnen, dass der Betriebsrat eine von ihm nach § 87 Absatz 1 Nr. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes mitbestimmte Regelung zur Art und Weise der Erfassung von Arbeitszeiten verlangt.
    So geschehen in dem vom Landesarbeitsgericht München per Beschluss vom 22.05.2023 (Az.: 4 TaBV 24/23) entschiedenen Fall:
    In dem dortigen Unternehmen bzw. Konzern gab es eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung für die Beschäftigten im Innendienst. Eine analoge Regelung für den Außendienst gab es nicht. Auf Unternehmensseite kannte man zwar die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022; man wollte aber erstmal abwarten, wie der Gesetzgeber sich positioniert.
    Der Betriebsrat wollte aber nicht warten, sondern verlangte, gestützt auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, schon jetzt eine Regelung zum Thema Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung für Beschäftigte im Außendienst.
    Da das Unternehmen dem nicht nachkam, landete der Antrag des Betriebsrats zur Einsetzung einer Einigungsstelle vor dem Arbeitsgericht.
    In der 2. Instanz bestätigte das Landesarbeitsgericht München, dass eine Einigungsstelle eingesetzt werden muss.
    Begründung: Es gehe dem Betriebsrat um das „Wie“ der Erfassung. Und beim „Wie“ bestehe gem. § 87 Absatz 1 Nr. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes ein Mitbestimmungsrecht, da es beim „Wie“ (in Ermangelung gesetzlicher Vorgaben) Regelungsspielräume gäbe. Für diejenigen unter Ihnen, die keine Erfahrungen mit Einigungsstellen haben dazu noch der Hinweis: Der Antrag auf Einsetzung einer Einigungsstelle hätte nur dann vom Gericht zurückgewiesen werden können, wenn es offensichtlich kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gegeben hätte. In den Augen des Landesarbeitsgerichts München war hier aber das Gegenteil der Fall.
    Dabei hatte das Unternehmen durchaus klug argumentiert. Das Unternehmen verteidigte sich nämlich damit, dass es bezogen auf den Außendienst gar nicht um das „Wie“, sondern um das „Ob“ der Arbeitszeiterfassung ginge. Schließlich gab es für den Außendienst ja noch keine Erfassungspflicht. Und das „Ob“ ist laut Bundesarbeitsgericht nicht mitbestimmungspflichtig, da es für das „Ob“ im § 3 Absatz 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes bereits eine gesetzliche Grundlage gebe, die (wohlbemerkt nur beim „Ob“) keine Regelungsspielräume lässt.
    Die Münchener Landesarbeitsrichter folgten dieser Sichtweise jedoch nicht und begründeten das folgendermaßen:

    „Das Mitgestaltungsrecht des Betriebsrats hängt nicht davon ab, ob der Arbeitgeber seinen gesetzlichen Pflichten nachkommen will oder nicht; dieser kann sich gegenüber dem Wunsch des Betriebsrats nach einer Regelung nicht darauf berufen, er sei nicht gewillt, der gesetzlichen Verpflichtung zu genügen. Auch dies hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich festgestellt, wenn es das Mitbestimmungsrecht in dem Moment bejaht, in dem eine gesetzliche Pflicht zum handeln besteht (BAG vom 13.09.2022, 1 ABR 23/22 Rn. 61).“

    Das Unternehmen hat bereits das Bundesarbeitsgericht angerufen, sodass wir hoffentlich bald wissen werden, ob Unternehmen, die sich angesichts der Unentschlossenheit des Gesetzgebers erstmal gegen eine Zeiterfassungspflicht entscheiden, Ungemach von Betriebsratsseite befürchten müssen.

Unterm Strich leben Unternehmen, die keine Arbeitszeiterfassung haben, derzeit aber mit diversen Risiken.

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