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Wie sich Beschäftigte beim Abfindungspoker verzocken können

Abfindungen, die für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden, sind grundsätzlich Verhandlungssache.
Das Kündigungsschutzgesetz ist nämlich auf Weiterbeschäftigung und nicht auf Abfindungszahlung angelegt.
Das Kündigungsschutzgesetz kennt nur einen Fall, in dem das Arbeitsgericht bei einer sozialwidrigen Kündigung eine Abfindung ausurteilen kann. Und das ist der in § 9 des Kündigungsschutzgesetzes geregelte sogenannte Auflösungsantrag.
Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Auflösungsantrag sind allerdings für beide Seiten so hoch, dass er nur ausnahmsweise gelingt (anders ist es nur, wenn beide Seiten den Auflösungsantrag gestellt haben; nur dann prüft das Arbeitsgericht die Voraussetzungen für den jeweiligen Auflösungsantrag nicht mehr).

Ist eine Kündigungsschutzklage erfolgreich, ist die/der Beschäftigte also grundsätzlich weiter zu beschäftigen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung bei sozialwidrigen Kündigungen ist, wie gesagt, der Ausnahmefall.
Ist die Kündigung rechtmäßig, gibt es erst recht keine Abfindung. Die/Der Beschäftigte geht dann leer aus.

Abfindungen sind daher in aller Regel Verhandlungssache.
Aus Arbeitgebersicht gibt es für solche Abfindungsverhandlungen vor allem ein Motiv und das ist der oft ungewisse Ausgang von Kündigungsschutzverfahren, die mangelnde Neigung, gekündigte Beschäftigte weiter zu beschäftigen sowie die teils nicht unerheblichen Kosten (einschließlich des Zeitaufwands auf Arbeitgeberseite), die entstehen, wenn man ein Kündigungsschutzverfahren durchficht.

Vor diesem Hintergrund möchten wir Ihnen heute von einem kürzlich veröffentlichten und sehr lehrreichen Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (Az.: 5 Sa 135/22) berichten. Das Urteil zeigt sehr schön, wie Beschäftigte und deren Anwälte sich beim Abfindungspoker verzocken können.

Ausgangspunkt der Entscheidung war eine betriebsbedingte Kündigung, die den Kläger und etliche seiner Kollegen ereilte.
Im Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigungen hatte der Arbeitgeber allen betroffenen Beschäftigten einen Abwicklungsvertrag angeboten, der u.a. eine Abfindungszahlung vorsah.
Einen Betriebsrat gab es beim Arbeitgeber nicht und infolgedessen auch keinen mit dem Betriebsrat ausgehandelten Sozialplan.
Die vom Arbeitgeber per Abwicklungsvertrag angebotene Abfindung war aus den eingangs beschriebenen Gründen also eine freiwillige Offerte.

Der Kläger bzw. sein Anwalt hatten an dem vom Arbeitgeber angebotenen Abwicklungsvertrag allerdings noch einiges herumzukritteln.
Rechtlich bedeutet ein Herumkritteln, dass das Angebot abgelehnt wurde, vgl. § 150 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches.

Da es vor Ablauf der 3-wöchigen Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage zu keiner Einigung kam, erhob der Arbeitnehmer durch seinen Anwalt Kündigungsschutzklage.

Außer dem Kläger hatten noch drei weitere Beschäftigte (von insgesamt 140 Beschäftigten) Kündigungsschutzklage erhoben.
Mit diesen drei Beschäftigen schloss der Arbeitgeber im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses einen gerichtlichen Abfindungsvergleich.

Nicht so aber mit dem Kläger.

Da das Gericht feststellte, dass die betriebsbedingte Kündigung des Klägers wirksam war, kam es nun auf den vom Kläger hilfsweise gestellten „Abfindungsantrag“ an.

Der Kläger scheiterte allerdings auch mit seinem „Abfindungsantrag“.
Das Schöne an dem Urteil ist, dass sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil mit allen erdenklichen Anspruchsgrundlagen, die der konkrete Fall aufwarf, auseinandersetzt.
Und das geht so:

  • Einen vertraglichen Anspruch auf eine Abfindung hat der Kläger nicht, da er das erste Angebot des Arbeitgebers abgelehnt hatte.
    Wörtlich sagen die rheinland-pfälzischen Landesarbeitsrichter hierzu: 

    „Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger keinen vertraglichen Anspruch auf eine Abfindung hat, weil er das mit Schreiben vom 28. Januar 2021 unterbreitete Angebot der Beklagten auf eine „Abwicklungsvereinbarung“ mit Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2021 abgelehnt hat.

    Ein Vertrag kommt gemäß § 145 BGB durch Angebot und Annahme des Angebots zustande. Die Beklagte hat dem Kläger ihr Vertragsangebot mit Schreiben vom 28. Januar 2021 unterbreitet. Dieses Angebot hat der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2021 nicht so angenommen, wie es ihm gemacht wurde. Das bedeutet rechtlich, dass er das Vertragsangebot der Beklagten abgelehnt hat. Das ursprünglich von der Beklagten gemachte Angebot war damit erledigt (§ 150 Abs. 2 BGB).

    Entgegen der Ansicht der Berufung ist das Anwaltsschreiben vom 5. Februar 2021 als Ablehnung zu qualifizieren. Aus § 150 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass eine wirksame Annahme nur dann vorliegt, wenn sie dem Angebot entspricht, also mit diesem deckungsgleich ist. Jede Annahme unter inhaltlichen Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt dagegen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. Ob eine Abweichung vorliegt oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (§ 133, 157 BGB) und beurteilt sich aus der Perspektive des Empfängerhorizonts, also aus Sicht der Beklagten.“

  • Aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kann der Kläger ebenfalls keine Abfindung beanspruchen. Denn er hatte ja wie die anderen Beschäftigten ein Abwicklungsvertragsangebot bekommen, das er abgelehnt hat.
    Oder wie es das LAG Rheinland-Pfalz sagt:

    „Lehnt ein Arbeitnehmer das an alle Arbeitnehmer gemachte Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines (Änderungs-)Vertrags ab, scheidet eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus, weil die sich aus der Weigerung nunmehr ergebende Gruppenbildung hinsichtlich der in den Verträgen vorgesehenen Leistung nicht auf einer vom Arbeitgeber selbst aufgestellten Regel beruht (vgl. BAG 21.05.2014 – 4 AZR 50/13 – Rn. 27; vgl. auch BAG 21.09.2011 – 5 AZR 520/10 – Rn. 20; 14.12.2011 – 5 AZR 675/10 – Rn. 17 ff.

    Im Streitfall hat die Beklagte den Anforderungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes genügt. Sie hat allen Arbeitnehmern, die von der beabsichtigten Betriebsstilllegung betroffen waren, auch dem Kläger, ein Angebot auf Abschluss einer Abwicklungsvereinbarung mit den gleichen abstrakten, generalisierenden Voraussetzungen für die Zahlung einer Abfindung unterbreitet. Insbesondere wurden Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – arbeitsunfähig erkrankt waren, nicht vom Angebot ausgeschlossen. Der Kläger hat das Angebot der Beklagten – wie oben ausgeführt – abgelehnt. Die Ablehnung des Angebots erfolgte unabhängig vom Willen der Beklagten durch seine privatautonome Entscheidung gegen die Unterzeichnung der angetragenen Abwicklungsvereinbarung. Der Gewährung von Abfindungen nur an die Arbeitnehmer, die ihr Angebot auf eine Abwicklungsvereinbarung angenommen haben, liegt keine verteilende Entscheidung der Beklagten mehr zugrunde. Sie hat gegenüber den Arbeitnehmern, die ihr Angebot angenommen haben, lediglich die Ansprüche aus dem Vertrag erfüllt.“

  • Ein Abfindungsanspruch gemäß oder analog § 1a des Kündigungsschutzgesetzes scheidet gleichfalls aus und zwar schon deshalb, weil der Arbeitgeber keine Kündigung nach § 1a des Kündigungsschutzgesetzes ausgesprochen hatte. Wie die meisten von Ihnen wissen, setzt eine Kündigung nach oder analog § 1a des Kündigungsschutzgesetzes voraus, dass es sich um eine betriebsbedingte Kündigung handelt und dass der Arbeitgeber die/dem Beschäftigten in dem Kündigungsschreiben eine Abfindung unter der Bedingung anbietet, dass die/der Beschäftigte die 3-wöchige Klagefrist ungenutzt verstreichen lässt. Im entschiedenen Fall gab es aber nur eine betriebsbedingte Kündigung ohne Abfindungsangebot. Das Abfindungsangebot war Bestandteil der dem Kläger angebotenen Abwicklungsvereinbarung, die er abgelehnt hatte (außerdem hatte der Kläger die Klagefrist auch nicht ungenutzt verstreichen lassen, sondern geklagt).

  • Die Voraussetzungen für eine Abfindung aufgrund eines Auflösungsantrags nach §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes waren schon deshalb nicht erfüllt, weil die Kündigung wirksam war und der Auflösungsantrag eine sozialwidrige Kündigung voraussetzt. Einen Abfindungsanspruch bei wirksamer Kündigung kennt das Gesetz nicht.

  • Eine verbotene Maßregelung des Klägers nach § 612a BGB sah das LAG Rheinland-Pfalz ebenso wenig, auch nicht mit Rücksicht darauf, dass sich der Arbeitgeber mit drei anderen Klägern im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens verglichen hatte.
    Auch hier finden die rheinland-pfälzischen Landesarbeitsrichter deutliche Worte:

    "Die Beklagte war nach Ablehnung ihres Angebots vom 28. Januar 2021 nicht (mehr) verpflichtet, dem Kläger eine Abfindung zu zahlen oder sich im Kündigungsschutzprozess auf Vergleichsverhandlungen einzulassen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie in drei Rechtsstreitigkeiten mit anderen Arbeitnehmern gerichtliche Vergleiche abgeschlossen hat, mit dem Kläger hingegen nicht.[...]
    Es steht in der Dispositionsfreiheit der Parteien einen Rechtsstreit durch einen Vergleich zu beenden […]. Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist nicht anwendbar. Im Übrigen gilt: Stellt der Arbeitgeber nur einzelne Arbeitnehmer unabhängig von abstrakten Differenzierungsmerkmalen in Einzelfällen besser, können sich andere Arbeitnehmer hierauf zur Begründung gleichartiger Ansprüche nicht berufen […]."

  • Last but not least versagt das LAG Rheinland-Pfalz dem Kläger auch einen Anspruch nach dem Betriebsverfassungsgesetz (§112ff.BetrVG), da es beim Arbeitgeber keinen Betriebsrat gab.

Was lernen wir daraus?
Gerade in Fällen, in denen die ausgesprochene Kündigung voraussichtlich wirksam ist, sollten Arbeitgeber bezogen auf freiwillige Abfindungsangebote ruhig mal hart bleiben, getreu dem Motto: Enough is enough.

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