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Auch private Chat-Verläufe können kündigungsrelevant sein!

Heute hat das Bundesarbeitsgericht (Az.: 2 AZR 19/23, 2 AZR 18/23 und 2 AZR 17/23) über die Kündigung von Beschäftigten entschieden, die in einer privaten WhatsApp-Chat-Gruppe aufs Übelste über ihren Arbeitgeber und Kolleg:innen hergezogen sind.

Das Bundesarbeitsgericht musste also folgende Frage beantworten:

Genießen Privatgespräche unter Arbeitskolleg:innen den Schutz der Privatsphäre, auch wenn dort Äußerungen gegen den Arbeitgeber fallen, die kündigungsrelevant wären, wären sie nicht in einem privaten Chatverlauf erfolgt?

Die Frage ist berechtigt, gilt doch im Kündigungsschutzrecht der Grundsatz: Bei privaten Äußerungen (insbesondere also Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Freunden bzw. Vertrauenspersonen) ist der Persönlichkeitsschutz höher zu bewerten als beispielsweise die Ehre des Arbeitgebers und seiner Beschäftigten.

Oder wie es die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, über dessen Entscheidung nun das Bundesarbeitsgericht befinden musste, in seinem Urteil vom 19.12.2022 (Az.: 15 Sa 286/22) formuliert hat:

„Bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen, die in einer Sphäre fallen, die gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt ist, tritt der Aspekt der Ehrverletzung eines von der Äußerung Betroffenen gegenüber dem einer freien Entfaltung der Persönlichkeit des sich Äußernden zurück. Zum Persönlichkeitsschutz gehört unter den Bedingungen eines besonderen Vertrauensverhältnisses die Möglichkeit des Einzelnen, seine Emotionen frei auszudrücken, geheime Wünsche oder Ängste zu offenbaren und das eigene Urteil über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung freimütig kundzugeben. Unter solchen Umständen getroffene Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen Vertraulichkeitsbeziehungen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht; BVerfG, 23.11.2006, 1 BvR 285/06, Juris Rn. 10. Das schließt auch schriftliche Äußerungen ein (zur Einbeziehung schriftlicher Äußerungen von Strafgefangenen, deren Post der Briefkontrolle unterliegt, in den Schutz der Vertrauensbeziehung vgl. BVerfG, 11.4.1973, 2 BvR 701/72).“

Aber was ist, wenn kündigungsrelevante Äußerungen trotzdem nach außen und zum Arbeitgeber gelangen? Darf der Arbeitgeber sie dann verwerten, weil die Privatsphäre durch was oder wen auch immer verlassen worden ist?

Für die Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, ob diejenigen, die über den Arbeitgeber hergezogen sind o. ä. davon ausgehen durften, dass nichts nach außen gelangt (Vertrauensschutz).

Im entschiedenen Fall wurde das vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen bejaht mit der Folge, dass die Kündigungen wegen des Vorrangs der Privatsphäre für unwirksam erklärt wurden.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachen begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es sich hier um eine private WhatsApp-Chat-Gruppe handelte. Dies schlussfolgerte das Landesarbeitsgericht aus der Zusammensetzung der Gruppe (die Arbeitnehmer, die sich in der Chat-Gruppe versammelt hatten, waren langjährig befreundet oder sogar verwandt). Deshalb und weil sie sich über WhatsApp Nachrichten ausgetauscht hatten, die Ende-zu-Ende verschlüsselt waren, durften sie darauf vertrauen, dass nichts von dem nach außen gelang. Und dieses Vertrauen sei schutzwürdig, selbst wenn der Arbeitgeber dann doch wie auch immer von solchen Kommunikationen erfährt, wie es auch hier der Fall war.

Nach Meinung der niedersächsischen Landesarbeitsrichter stand dem Vertrauensschutz auch nicht entgegen, dass es sich um eine verhältnismäßig große Chat-Gruppe aus sieben Personen handelte und die Äußerungen stark beleidigend, rassistisch und sexistisch waren.

Aufgrund des Inhalts der wie gesagt beleidigenden, rassistischen und sexistischen Äußerungen war verständlich, dass der Arbeitgeber auf die Palme ging, die Reißleine zog und kündigte.

Im Chatverlauf fielen nämlich Äußerungen wie:

„Drecks L. stellt es so hin als würden wir hier alle nur rausfliegen weil die Piloten geblockt haben“
„Was kann denn das Gebäude dafür? Sollen diese Leute besser den F. aufsuchen und zusammenschlagen …“
„Ich komme her … reiß mir aber kein Arm aus … aber bin da …werde ja schließlich noch bezahlt. Rest interessiert mich nicht“
„Und der ganze Rest von dieser drecksfirma“
„Drecksladen“
„Der soll bloß abhauen der Knecht“
„F. geht unter … aber ist mit egal alles“
„Ich hasse ihn und den ganzen Laden“
„Lächerlicher Laden“
„G. war mal gut zum blasen … das war‘ s“
„M. dicke Titten .. das wars“
„Covidioten sollten vergast werden (…)“
„KZ oder so“
„F. hasse ich am meisten“
„Ich will alle anderen aber auch ficken“
„Lasst uns das letzte Jahr noch mal richtig ficken … haben eh nix zu verlieren“
„S. und M. schicke ich in toolshop … mal gucken“
„F. darf fegen jeden Tag … auf Knie“
„Unsere Piloten müssten alle vergast werden“
„Bomben platzieren?“
„Nie wieder t. fliegen“
„Steckt ein was geht“
„C. habe ich direkt gesagt:“
„Wollen die mich verarschen? Wenn sie bläst überlege ich es mir nochmal“
„Diese Firma ist ein Behinderten und Pflegeheim zugleich“
„Ich sehne den tag herbei wo diese Bude anfängt zu brennen“
„Und wir wollte nach S. und die Boote von G. versenken“
„Anbrennen“
„Wie damals im Reich“
„Anschlag auf BR wenn das alles so kommt“
„Vernichten müssen wir sie alle“
„Gewöhnt Euch dran. Mit Türken an der Spitze wird das nix mit dieser Stadt und diesen verein“


In erster und zweiter Instanz scheiterte der Arbeitgeber allerdings am Vorrang des Persönlichkeitsschutzes bzw. daran, dass die Mitglieder der Chat-Gruppe erwarten durften, dass nichts von ihren schlimmen Äußerungen nach außen dringt.

Dem ist das Bundesarbeitsgericht in seiner heutigen Entscheidung nicht gefolgt. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts muss in solchen Fällen vielmehr eine differenzierte Betrachtungsweise, sprich eine Einzelfallprüfung erfolgen. Infolgedessen hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an die niedersächsischen Landesarbeitsrichter zurückverwiesen.

Nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts hängt die Frage der berechtigten Erwartung, dass von einem solchen Gespräch nichts nach außen dringt, auch vom Inhalt der Äußerungen als solches ab.
Oder wie wir es verstehen: Je schwerwiegender die verbalen Verfehlungen sind, desto weniger dürfen Berechtigte darauf vertrauen, dass nichts nach außen dringt.
Die Größe der Chat-Gruppe darf hierbei auch nicht außer Betracht bleiben.

Die entscheidenden Passagen der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts lauten:

„Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.“

Die vollständige Pressemitteilung finden Sie hier.

Es ist absolut richtig, dass das Bundesarbeitsgericht auch bei privaten Kommunikationen Grenzen zieht. Das Problem der Entscheidung für Arbeitgeber (und auch Beschäftigte) ist die in Zukunft erforderliche Einzelfallprüfung. Denn Einzelfallprüfungen bedeuten immer Rechtsunsicherheit.

Ob das Bundesarbeitsgericht nicht doch die ein oder andere einzelfallunabhängige Leitplanke aufgestellt hat, werden erst die vollständigen Entscheidungsgründe zeigen.

Sobald diese vorliegen werden wir unsere Berichterstattung daher fortsetzen.

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