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Arbeitsrecht und Datenschutz – das Eine geht nicht ohne das Andere

Zwei aktuelle Urteile geben Anlass, sich mit dem Verhältnis von Datenschutz zum Arbeitsrecht zu beschäftigen. 
 
Genauer gesagt geht es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen dazu führen kann, dass vorhandene Erkenntnisse im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht für die Entscheidung herangezogen werden können.
 
In den beiden Fällen ging es um die Rechtmäßigkeit von fristlosen, verhaltensbedingten Kündigungen. 
Während sich das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 29. Juni 2023 (Az.: 2 AZR 296/22) mit der Verwertung von Erkenntnissen aus einer offenen Videoüberwachung befasst hat, ging es beim LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 27. Januar 2023, Az.: 12 Sa 56/21) um dienstliche Kommunikationsmittel (insbesondere das dienstliche E-Mail-Postfach) und die Frage, ob der Arbeitgeber die durch die Einsichtnahme gewonnenen Erkenntnisse für die Kündigung verwenden durfte.

Kern der Diskussionen war im Fall des LAG (E-Mail-Postfach) die Frage, ob der Arbeitgeber, der die private Nutzung des dienstlichen E-Mail-Postfachs nicht ausdrücklich untersagt hatte, in dieses Postfach überhaupt Einsicht nehmen durfte. Beim BAG (Videoüberwachung) stand eine Betriebsvereinbarung zur Videoüberwachung im Fokus, nach der „keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgt“.
 
Auf den Punkt gebracht: In beiden Fällen stand also (eigentlich) fest, dass die gekündigten Beschäftigten eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hatten, dass dies eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte. Streit gab es aber darüber, ob das Gericht diese Erkenntnisse des Arbeitgebers seiner Entscheidung zugrunde legen durfte.
 
Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen, in denen die nicht gänzlich rechtskonforme Erlangung von Informationen automatisch zu einem Beweisverwertungsverbot führt, differenzieren die deutschen Gerichte und lassen – in engen Grenzen – auch Erkenntnisse zu, deren Erlangung rechtlich fragwürdig oder sogar eindeutig rechtswidrig erfolgt ist.
So hat das Bundesarbeitsgericht schon im Jahr 2018 entscheiden, dass die Bilder aus einer offenen (und damals rechtmäßigen) Videoüberwachung auch dann noch eine Kündigung begründen können, wenn diese Aufnahmen – nach datenschutzrechtlichen Grundsätzen – eigentlich längst hätten gelöscht sein müssen. 
 
Die beiden aktuellen Entscheidungen zeigen die Grundsätze für die Verwertung von Erkenntnissen im Rahmen von arbeitsgerichtlichen Verfahren (insbesondere Kündigungsschutzverfahren) noch einmal auf: 

  • War eine Maßnahme nach datenschutzrechtlichen Grundsätzen zulässig, dürfen die gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens verwendet werden.

  • Verstößt die Maßnahme hingegen gegen die datenschutzrechtlichen Vorgaben, folgt hieraus regelmäßig ein Verbot der Verwertung der unzulässig beschafften Daten und Erkenntnisse.  

Um die Erfolgsaussichten eines Verfahrens abschätzen zu können, ist es also zwingend erforderlich zunächst zu prüfen, ob die Beweise, die dem Gericht präsentiert werden sollen, rechtmäßig erhoben worden sind. Ist das der Fall, spielen Beweisverwertungsverbote keine Rolle. Stellt sich jedoch heraus, dass die Herkunft der Erkenntnisse zumindest rechtlich zweifelhaft ist, muss man sich die Sache genauer ansehen.
 
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner aktuellen Entscheidung nämlich erneut deutlich gemacht, dass von dem Grundsatz, dass datenschutzwidrige Erkenntnisse nicht verwertet werden können, Ausnahmen bestehen. Wörtlich sagt das BAG:
 
„Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot kommt – gerade auch im Geltungsbereich der DSGVO – nur in Betracht, wenn die Nichtberücksichtigung von Vorbringen oder eines Beweismittels wegen einer durch Unionsrecht oder Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechtsposition des Arbeitnehmers zwingend geboten ist. Dies ist bei einer von ihm vorsätzlich begangenen Pflichtverletzung, die von einer offenen Überwachungsmaßnahme erfasst wurde, regelmäßig nicht der Fall. […] Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.“
 
Das Bundesarbeitsgericht hat also – Sie ahnen es – dem Arbeitgeber Recht gegeben und die Videoaufzeichnungen bei seiner Entscheidung berücksichtigt, was zur Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung führte. 
 
Dabei hätte sich der Arbeitgeber viel Ärger sparen können, hätte er sich nicht in der Betriebsvereinbarung darauf eingelassen, auf eine personenbezogene Auswertung zu verzichten. Auch wenn das BAG darin kein prozessuales Beweisverwertungsverbot sehen wollte; Zweifel an der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der personenbezogenen Auswertung gibt es eben doch; und das könnte Schadenersatzansprüche nach sich ziehen und die Datenschutzaufsichtsbehörde auf den Plan rufen. 
 
Schlechter erging es dem Arbeitgeber in dem vom LAG entschiedenen Fall. 
Dies lag zwar auch an den (sehr speziellen) Umständen des Einzelfalls, das LAG hat aber auch generelle Aussagen getroffen, die über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung haben. 

So spricht nach Auffassung des LAG viel dafür, 
 
„dass bei unterbliebener ausdrücklicher Regelung durch den Arbeitgeber die Arbeitnehmer grundsätzlich von einer Erlaubnis auch zur privaten Kommunikation über einen dienstlichen E-Mail-Account ausgehen können.“
 
Das LAG stützt diese These unter anderem auf eine Erhebung aus dem Jahr 2014 (!) nach der „die meisten Unternehmen in Deutschland ihren Mitarbeitern gestatten, auch private E-Mails […] über ihren geschäftlichen Zugang zu versenden oder zu empfangen“.
 
Auch die bislang von der herrschenden Meinung vertretene Parallele zur postalischen Kommunikation kann das LAG nicht überzeugen. So führt das Gericht aus:
 
„Gerade in Bereichen wie dem Vertrieb, in dem es auf den Aufbau von persönlichen Kontakten zu Kunden ankommt, werden neben geschäftlichen Informationen oftmals auch persönliche Informationen in Emails integriert, die im vordigitalem Zeitalter per Geschäftsbrief nicht gleichermaßen mit Kunden schriftlich ausgetauscht worden wären. Gleiches gilt beim E-Mail-Verkehr zwischen Kollegen, die oftmals untereinander auch private Freundschaften pflegen. In E-Mails an Kollegen werden regelmäßig – neben dienstlichen Inhalten – auch private Dinge ausgetauscht, die zu Zeiten „traditioneller“ Kommunikation überhaupt nicht schriftlich kommuniziert worden wären. Die E-Mail ist nach der Art ihres üblichen Einsatzes in der betrieblichen Wirklichkeit ein gegenüber dem Geschäftsbrief eigenes Kommunikationsmittel mit regelmäßig höherem Gehalt an persönlichem Informationsaustausch. Sie nimmt verglichen mit dem (Telefon-)Gespräch und dem Geschäftsbrief eine Zwischenstellung ein.“
 
Im Ergebnis gelangte das LAG daher zu dem Schluss, dass die private Nutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts erlaubt war. 
Bei erlaubter Privatnutzung eines dienstlichen E-Mail-Accounts darf eine (verdachtsunabhängige) Überprüfung durch den Arbeitgeber aber nicht verdeckt – also ohne Kenntnis des Arbeitnehmers – erfolgen. Vielmehr muss dem Arbeitnehmer angekündigt werden, dass und aus welchem Grund eine Einsichtnahme in das Postfach stattfinden soll, und ihm die Gelegenheit gegeben werden, private Nachrichten in einem gesonderten Ordner zu speichern, auf den kein Zugriff durch den Arbeitgeber erfolgt.
 
Da diese Grundsätze im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden waren, kam das LAG – dem eingangs genannten Grundsatz entsprechend – zu einem Beweisverwertungsverbot und stellte fest, dass es dem Arbeitgeber nicht gelungen war, die Rechtmäßigkeit der von ihm ausgesprochenen Kündigung zu beweisen.
 
Was lernen wir daraus?!
 
Auch wenn das Unternehmen vor dem BAG (also in dritter Instanz) Recht bekommen hat; diesen Marathon hätten sich die Verantwortlichen sicherlich gerne gespart. Hinzu kommt auch nach dem gewonnenen arbeitsgerichtlichen Verfahren das Risiko von Schadenersatzklagen und behördlich angeordneten Bußgeldern wegen der möglichen Datenschutzverstöße. Nicht unbedingt ein Erfolg auf ganzer Linie.
In dem vom LAG entschiedenen Fall ist es noch eindeutiger: Hätte der Arbeitgeber die private Nutzungsmöglichkeit der dienstlichen E-Mail-Adresse ausdrücklich untersagt, hätte er sich nicht nur datenschutzkonform verhalten, er hätte in dem Kündigungsrechtsstreit vermutlich sogar Recht bekommen.
 
Beide Arbeitgeber hätten also Zeit, Geld und Nerven gespart, hätten sie von Anfang an auf eine datenschutzkonforme Ausgestaltung der Maßnahmen geachtet.

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