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Elternzeit und Urlaub – das kann schwierig (und teuer) werden!

Elternzeit und Urlaub sind eine in vielerlei Hinsicht spannungsgeladene Kombination. Ganz abgesehen von praktischen, taktischen und psychologischen Fragen, die in diesem Spannungsfeld zwischen den Arbeitsvertragsparteien gerne aufkommen, kann man sich schnell auch rechtlich aufs Glatteis begeben …
 
Der Fall:
Eine vollzeitbeschäftigte Mutter war von 2015 bis einschließlich 2020 ohne Unterbrechung in Mutterschutz und Elternzeiten, sie kündigte das Arbeitsverhältnis zum 25.11.2020, dem Ende der zweiten Elternzeit. Sie hatte aus 2015 noch einen Urlaubstag, vertraglich standen ihr 29 Tage Urlaub pro Jahr zu. Und dann kam es für den Arbeitgeber ganz dicke: Sie forderte Urlaubsabgeltung für 146 Tage, das entsprach bei einer monatlichen Vergütung von € 3.700 brutto stolzen € 24.932,42.
Auf 146 Tage kam sie so: 1 Tag aus 2015, je 29 Tage für 2016, 2017, 2018, 2019 und 2020.
 
Der Arbeitgeber wehrte sich mit Händen und Füßen, aber vergeblich. Er musste zahlen.

Wie kann das sein? Ganz einfach: Er hatte es vor allem versäumt, den Urlaub vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gem. § 17 Absatz 1 Satz 1 BEEG zu kürzen. Das hätte zugegebenermaßen zwar nicht zu einer Reduzierung des Anspruchs „auf 0“ geführt, aber doch eine deutlich geringere Urlaubsabgeltung zur Folge gehabt. Grob geschätzt wären dann nämlich nur 16 Tage im Wert von insgesamt € 2.732,32 abzugelten gewesen.
 
Der Arbeitgeber war ungewöhnlich kreativ und brachte alle möglichen Argumente gegen den Abgeltungsanspruch vor – er hat wirklich „jeden Stein umgedreht“. Schauen Sie mal, was für ein bunter Blumenstrauß an Argumenten ihm eingefallen ist („AG“) – und wie die Richter darauf geantwortet haben („LAG“). Nachzulesen ist all das in dem jüngst veröffentlichten Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 20.09.2022, Az. 11 Sa 12/22. Wir fassen zusammen:
 
AG: „Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 17 BEEG ist nicht richtig, die Vorschrift ist so zu verstehen, dass auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch gekürzt werden kann.“
 
LAG: „Nein. Nur der ‚Erholungsurlaub‘ kann gem. § 17 Absatz 1 Satz 1 BEEG gekürzt werden, nicht aber der Abgeltungsanspruch.  Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann keine Kürzung mehr erreicht werden; der kürzbare Urlaubsanspruch ist dann nicht mehr vorhanden, sondern wurde vom Abgeltungsanspruch abgelöst.“
 
AG: „Die Urlaubsabgeltung beträgt € 0,00. Es gilt das Referenzprinzip des § 11 BUrlG, so dass die letzten 13 Wochen vor Vertragsende zugrunde zu legen sind. Und in dieser Zeit hat die Klägerin wegen ihrer Elternzeit kein Einkommen erzielt. Die Elternzeit ist kein Fall einer „unverschuldeten Arbeitsversäumnis“ im Sinne von § 11 Absatz 1 Satz 3 BUrlG, so dass vom Referenzprinzip nicht abzuweichen ist.“
 
LAG: „Falsch. Unverschuldete Arbeitsversäumnis meint (alle) Umstände, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat. Davon sind Fälle zu unterscheiden, in denen der Arbeitnehmer es zu vertreten hat,  es ihm also vorzuwerfen ist, dass er seinen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht nachkommen kann. Von einem solchen Vertretenmüssen kann aber keine Rede sein, wenn die/der Beschäftigte Rechte ausübt, indem (wie hier) Elternzeit beansprucht wird. Deshalb sind die Elternzeiten bei der Berechnung auszuklammern.“
 
AG: „Die Ansprüche aus 2015, 2016 und 2017 sind verjährt. Die Verjährung von Urlaubsansprüchen beginnt nicht erst mit dem Ende der Erziehungs- bzw. Elternzeit, sondern schon mit dem Schluss des Urlaubsjahres. Sonst würden bei Aufeinanderfolgen mehrerer Elternzeiten nahezu unabsehbar Urlaubsansprüche kumuliert, was dem europarechtlich vorgegebenen Urlaubszweck widerspricht.“
 
LAG: „Nein. Tatsache ist, dass die Verjährung erst mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Arbeitgeber seiner Initiativlast nachgekommen ist. Ganz davon abgesehen folgt aus den Regelungen in § 7 BUrlG und § 17 Absatz 1 und Absatz 2 BEEG, dass die Verjährung frühestens mit dem Ende der Elternzeit beginnen kann; denn der Arbeitnehmer soll nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers den vor und während der Elternzeit erworbenen Urlaub nach der Elternzeit nehmen können – was konterkariert würde, wenn die Ansprüche vorher der Verjährung unterlägen.“
 
Fazit 1:
Die Erklärung der Kürzung des Urlaubs bei Elternzeit sollten Arbeitgeber keinesfalls versäumen – und zwar unbedingt, solange das Arbeitsverhältnis noch besteht! Dafür bietet sich z. B. das Schreiben über die Bestätigung der jeweiligen Elternzeit an.
 
Fazit 2:
Elternzeitrückkehrer sollten unverzüglich auf die Höhe ihres Urlaubsanspruchs und die Fristen für die Inanspruchnahme hingewiesen und aufgefordert werden, ihren Urlaub in dieser Zeit auch zu nehmen.
 
Fazit 3:
Lassen Sie werdende Elternzeitler Urlaubsansprüche möglichst vor Beginn der Elternzeit abbauen. Das hat ganz nebenbei den Vorteil, dass nach einer Rückkehr in Teilzeit der Urlaub nicht „noch mehr wert“ ist. (5 Urlaubstage in einer 5-Tage-Woche entsprechen in Vollzeit einer Woche Urlaub. 5 aus der Vollzeit übertragene Urlaubstage sind in einer 2-Tage-Woche während einer Teilzeit 2,5 Wochen Urlaub …)
 
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