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Wichtige Neuerungen bei der grenzüberschreitenden Tätigkeit im Homeoffice

Eine (aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht) wesentliche Errungenschaft der Mitgliedschaft in der EU ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit). Sie legt bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten nicht nur fest, dass lediglich eine Rechtsordnung (also ein Sozialversicherungssystem) Anwendung findet, sondern auch, welches.

Kern dieser Verordnung ist das Tätigkeitsortsprinzip, das bedeutet, eine Person unterliegt dem Sozialversicherungssystem des Mitgliedsstaates, in dem sie tätig wird.
Für die Mitgliedsstaaten der europäischen Union ergibt sich das aus Artikel 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004.
 
Für mobiles Arbeiten / Telearbeit bedeutet das Tätigkeitsortsprinzip, dass das Sozialversicherungsrecht des Staates gilt, in dem sich die Person und der Laptop befinden; der Wohnort der Beschäftigten spielt also (eigentlich) ebenso wenig eine Rolle wie der Sitz des Unternehmens.
 
Das bedeutet: Beschäftigt ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland eine Person, die ihre Aufgaben ausschließlich aus dem Homeoffice in den Niederlanden erbringt, so ist für diese Person grundsätzlich das niederländische Sozialversicherungssystem zuständig (umgekehrt wäre es natürlich ebenso).
 
In den Fällen, in denen die Tätigkeit einer Person in mehreren Mitgliedsstaaten erbracht wird, gibt es gesetzlich definierte Ausnahmen von dem Tätigkeitsortprinzip, um einen ständigen Wechsel zwischen oder eine doppelte Beitragslast in unterschiedlichen Systemen zu vermeiden.
Solche Ausnahmen gibt es sowohl für den vorübergehenden Einsatz in einem anderen Staat (die sog. Entsendung) als auch für die regelmäßige Beschäftigung in zwei oder mehr Mitgliedsstaaten.
 
Wenn eine Person, die bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen angestellt und dort auch üblicherweise tätig ist, für eine Dienstreise ins Ausland fährt, sichern die Vorschriften über die Entsendung den Verbleib in dem deutschen Sozialversicherungssystem. Diese Sonderregelung ergibt sich aus Artikel 12 der Verordnung.
Eine Entsendung ist nicht nur tageweise, sondern auch für mehrere Wochen und Monate (maximal aber für zwei Jahre) möglich, und auch dann, wenn die Initiative für den Auslandsaufenthalt nicht vom Arbeitgeber, sondern den Beschäftigten ausgeht.
 
Entscheidendes Kriterium für das Vorliegen einer Entsendung ist, dass der Einsatz in dem anderen Mitgliedsstaat nur gelegentlich, situativ und/oder von vorneherein für einen begrenzten Zeitraum erfolgt.
 
Ist die Tätigkeit im Ausland hingegen nicht nur situativ und vorübergehend, sondern mit einer gewissen Regelmäßigkeit verbunden, handelt es sich nicht um eine Entsendung, sondern um eine gewöhnliche Erwerbstätigkeit in mehreren Mitgliedsstaaten (Artikel 13 der Verordnung).
 
Praktische Beispielsfälle sind die Beschäftigten, die und/oder deren Familien im Ausland leben, insbesondere die sog. Grenzgänger, also Menschen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Staat haben als den Arbeitsort.
 
Von einer gewöhnlichen Erwerbstätigkeit in mehreren Mitgliedsstaaten ist immer dann auszugehen, wenn eine Prognose für die folgenden 12 Kalendermonate zu dem Ergebnis kommt, dass die Erwerbstätigkeit in diesem Zeitraum voraussichtlich an mindestens einem Tag im Monat oder an mindestens fünf Tagen im Quartal in verschiedenen Mitgliedsstaaten ausgeübt wird.
 
Die Frage, welches Sozialversicherungssystem in solchen Fällen das richtige ist, ist nicht allein davon abhängig, wo der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt. Vielmehr ist zunächst danach zu fragen, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in dem Staat ausgeübt wird, in dem sich der Wohnort befindet.
Ist das der Fall, findet (ausschließlich) das Sozialversicherungssystem des Wohnorts Anwendung. Ist das nicht der Fall, gelten i. d. R. die Rechtsvorschriften des Staates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
 
Ein „wesentlicher Teil der Tätigkeit“, bedeutet, dass ein quantitativ erheblicher Teil aller Tätigkeiten im Wohnmitgliedsstaat ausgeübt wird, wobei es sich nicht notwendigerweise um den größten/überwiegenden Teil der Tätigkeit handeln muss. Dabei sind sowohl die Arbeitszeit als auch das Arbeitsentgelt einzubeziehen.
Als Faustformel kann man sich merken:
Wird bei einer Gesamtbewertung festgestellt, dass eine Person mindestens 25 % ihrer Arbeitszeit im Wohnmitgliedsstaat leistet und/oder mindestens 25 % des Arbeitsentgelts dort erzielt wird, gilt dies als Indikator, dass ein wesentlicher Teil aller Tätigkeiten der betreffenden Person in diesem Mitgliedsstaat ausgeübt wird.
 
Gerne wollen wir das Anhand eines Beispielsfalls verdeutlichen:
Person P wohnt in den Niederlanden. P hat bislang ausschließlich bei einem Unternehmen in Deutschland gearbeitet, wird aber zukünftig an zwei der fünf Arbeitstage im niederländischen Homeoffice tätig werden.

  • Da die Arbeitszeit nicht nur sporadisch im anderen Staat erbracht wird, handelt es sich nicht um eine Entsendung, sondern um eine gewöhnliche Tätigkeit in mehreren Mitgliedsstaaten.
  • Bislang war P (ausschließlich) dem deutschen Sozialversicherungssystem unterworfen (Stichwort: Tätigkeitsortprinzip).
  • Dabei würde es auch bleiben, wenn P weniger als 25 % der Tätigkeit aus den Niederlanden (= Wohnmitgliedsstaat) erbringen würde, weil es kein „wesentlicher Teil der Tätigkeit“ wäre.
  • Zukünftig soll der Anteil der Tätigkeit in den Niederlanden aber bei mehr als 25 % liegen. Nach bislang geltendem Recht wäre damit das Sozialversicherungssystem des Wohnmitgliedsstaats maßgeblich.

Diese Bevorzugung des Sozialversicherungsrechts des Wohnmitgliedsstaates hat sicherlich seinen Grund; immerhin ist das der Staat, in dem die Beschäftigten leben und daher (aller Voraussicht nach) Sozialversicherungsleistungen in Anspruch nehmen werden. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und der damit zusammenhängenden gestiegenen Bedeutung von Homeoffice-/ Telearbeitsplätzen kamen aber Zweifel daran auf, ob diese Grundsätze noch sachgerecht sind.
 
Aus diesem Grund hat es während der Pandemie befristete Sonderregelungen gegeben, die Abweichungen vom Tätigkeitsortprinzip erlaubt haben. So konnten Beschäftigte, die vor Corona in Deutschland gearbeitet aber in einem anderen Land gewohnt haben, auch dann in dem deutschen Sozialversicherungssystem verbleiben, wenn sie ihre Aufgaben (pandemiebedingt) zu mehr als 25 % von zu Hause aus erbracht haben.
 
Diese Sonderreglungen sind nun aber am 30.06.2023 ausgelaufen.
Eigentlich würde das also bedeuten, dass Personen, die zu mindestens 25% in ihrem Wohnstaat tätig sind, zwingend (ausschließlich) dort Beiträge zur Sozialversicherung leisten müssten. Für viele Beschäftigte ist das undenkbar, für viele Unternehmen eine administrative Katastrophe.
 
Aus diesem Grund haben sich etliche Staaten zusammengetan und ein Rahmenübereinkommen geschlossen, das den Verbleib im Sozialversicherungssystem des Arbeitgeberstaates erlaubt, solange die Tätigkeit im Staat des Wohnorts nicht überwiegt, also nicht über 50 % der Arbeitszeit ausmacht.
 
Allerdings – und das ist wichtig – ist nach dem neuen Rahmenabkommen ein Antrag auf Abschluss einer Ausnahmevereinbarung erforderlich. Wird der Antrag nicht (oder nicht rechtzeitig) gestellt, kann es also zu einem Wechsel des Sozialversicherungssystems kommen.
 
Eine Ausnahmevereinbarung ist ein Vertrag zwischen den zuständigen Stellen in den beteiligten Mitgliedsstaaten, die sich im Interesse einer individuell betroffenen Person auf eine von der Verordnung abweichende Regelung verständigen. Eine solche Ausnahmevereinbarung steht grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Stellen und bedarf einer besonderen und nach engen Maßstäben zu bemessenden Begründung.
Zahlreiche Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, haben sich jedoch in einer Rahmenvereinbarung darauf geeinigt, dass Anträgen auf Ausnahmevereinbarungen für bis unter 50 % Telearbeit im Wohnmitgliedsstaat immer zugestimmt wird, sofern die Tätigkeit sowohl für einen oder mehrere Arbeitgeber mit Sitz in einem Mitgliedsstaat als auch von zu Hause aus im Wege der grenzüberschreitenden Telearbeit erfolgt. Die Rahmenvereinbarung ist am 1. Juli 2023 in Kraft getreten und knüpft damit zeitlich nahtlos an die oben genannten pandemiebedingten Sonderregelungen an.
Es ist jedoch keine Eile geboten, da Anträge auch rückwirkend ab dem 01.07.2023 gelten, sofern sie bis zum 30.06.2024 bei der DVKA, der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland, gestellt werden und in diesem Zeitraum durchgängig in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden.
 
Noch haben Sie also Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
 
Da die Möglichkeit des mobilen Arbeitens (auch im Ausland) einerseits für viele Beschäftigte ein wesentliches Argument für oder gegen einen Arbeitgeber ist, andererseits aber aus steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Sicht viele Fallstricke lauern, können wir Ihnen nur dazu raten rechtzeitig eine unternehmenseigene Strategie zu entwickeln.
 
Wir stehen Ihnen dabei gerne mit Rat und Tat zur Seite.

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