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Das Meilenstein-Urteil des BAG zur Lohngleichheit ist da!

Die Aufregung war groß, als das Bundesarbeitsgericht am 16.02.2023 zugunsten einer Frau entschied, die schlechter bezahlt wurde als der vergleichbare männliche Kollege, weil dieser sein Gehalt besser verhandelt hatte.
Über die Pressemitteilung der Entscheidung hatten wir in unserem Newsletter vom 24.02.2023 berichtet und eine erste praktische Einordnung vorgenommen.
 
Ist das das Ende der Vertragsfreiheit? Das fragten sich viele.
 
Nun liegt die Entscheidung des BAG (Aktenzeichen 8 AZR 450/21) im Volltext vor.
Und in der Tat: Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Urteil die Vertragsfreiheit ein Stück weit eingeschränkt.
Die Begründung des Bundesarbeitsgerichts ist weder schwarz noch weiß. Vielmehr hat das Bundesarbeitsgericht sehr genau hingesehen und den konkreten Fall entschieden.
Dennoch hat das Urteil auch über den entschiedenen Einzelfall hinaus Bedeutung, weil es in Zukunft auch Arbeitgeber zwingt, genau hinzusehen, wenn es Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern geben soll.

Hierbei sollten Arbeitgeber insbesondere die folgenden Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts berücksichtigen: 

  • Die Lage auf dem Arbeitsmarkt (Stichwort Fachkräftemangel) kann ein Kriterium für Gehaltsunterschiede sein.
    Das setzt laut Bundesarbeitsgericht allerdings voraus, dass der Arbeitgeber darlegen kann, dass es keine ebenso gut geeigneten Bewerber:innen gab, die bereit gewesen wären, zu einer geringeren Vergütung zu arbeiten.
    Einen solchen Vortrag hatte der beklagte Arbeitgeber im entschiedenen Fall nicht geleistet.
    Das Bundesarbeitsgericht wertete zu Lasten des Arbeitgebers außerdem, dass seine Personalsituation zum Zeitpunkt der Einstellung der Klägerin deutlich problematischer als zum Zeitpunkt der Einstellung des vergleichbaren männlichen Arbeitnehmers war. Die Stelle des Vertriebsmitarbeiters, den die Klägerin ersetzte, war nämlich schon längere Zeit vakant und musste dringend nachbesetzt werden.

  • Das Argument, dass der männliche Kollege besser verhandelt habe, lässt das Bundesarbeitsgericht nicht gelten. Hier lohnt es sich, das Bundesarbeitsgericht wörtlich zu zitieren:

    „Der Umstand, dass sich Arbeitsvertragsparteien im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung zu widerlegen. In einem solchen Fall wird nämlich gerade nicht ausgeschlossen, dass das Geschlecht mitursächlich für die Vereinbarung der höheren Vergütung war. Würde dennoch allein der Umstand der Einigung auf eine höhere Vergütung genügen, könnte der Grundsatz des gleichen Entgelts für Frauen und Männer iSv. Art. 157 Abs. 1 AEUV, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG sowie iSv. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG auch nicht effektiv umgesetzt werden. […]
    Allein der Umstand, dass die Beklagte der Forderung des Bewerbers P nach einem höheren Grundentgelt nachgegeben hat, ist für sich allein betrachtet ebenfalls nicht geeignet, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts zu widerlegen. Haben sich die Parteien eines Arbeitsvertrags auf ein höheres Entgelt verständigt als der Arbeitgeber einer Arbeitskraft des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbarungsgemäß zahlt, begründet dies die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass die Arbeitskraft des anderen Geschlechts die Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts erfahren hat. Es liegt auf der Hand, dass mit demselben Umstand die Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung nicht widerlegt werden kann, zumal auch hier nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Geschlecht mitursächlich für das Nachgeben des Arbeitgebers war. Würde man den Umstand, dass ein/e Mitarbeiter/in besser verhandelt hat als ein/e Beschäftigte/r des anderen Geschlechts, für sich betrachtet gleichwohl zur Widerlegung der Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltdiskriminierung ausreichen lassen, könnte sich der Arbeitgeber nur allzu leicht der Beachtung des Grundsatzes der geschlechtsbezogenen Entgeltgleichheit entziehen. Das wäre aber mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar, wonach Mechanismen, die geeignet sind, sich der Beachtung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit zu entziehen, zur Widerlegung der Vermutung nicht herangezogen werden können.“


  • Das Argument des Arbeitgebers, dass er auch den Wünschen der Klägerin nachgekommen sei und ihr eine unentgeltliche Sonderurlaubsvereinbarung gegeben habe, zieht beim Bundesarbeitsgericht gleichfalls nicht.
    Und zwar schon deshalb nicht, weil verschiedene Entgeltbestandteile und erst recht unterschiedliche Vertragsbedingungen nicht gegeneinander aufgewogen werden können. Vielmehr gilt der Grundsatz des gleichen Entgelts für jeden einzelnen Entgeltbestandteil!
    Anders wäre die von der Klägerin für sich ausgehandelte Sonderurlaubsvereinbarung ggfs. nur dann zu betrachten gewesen, wenn sie das höhere Gehalt ihres Kollegen gekannt hätte. Das war aber nicht der Fall.

  • Nicht gelten lässt das Bundesarbeitsgericht außerdem das Argument, dass der männliche Kollege eine ebenfalls höher vergütete Mitarbeiterin ersetzt habe.
    O-Ton Bundesarbeitsgericht:

    „Allein der Umstand, dass die Einstellungen als Ersatz für unterschiedlich vergütete ausscheidende bzw. ausgeschiedene Arbeitskräfte erfolgten, ist zur Widerlegung der Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin nicht geeignet.“

    Das Bundesarbeitsgericht begründet das damit, dass unterschiedliche Gehälter ehemaliger Stelleninhaber viele Gründe haben können, die nur mit dem ehemaligen Stelleninhaber, aber nichts mit deren Nachfolger:innen zu tun haben.

  • Eine bessere, fachspezifische Ausbildung und/ oder einschlägige Berufserfahrung kann geschlechtsspezifische Gehaltsunterschiede zwar rechtfertigen. Der beklagte Arbeitgeber wurde damit allerdings nicht mehr gehört, da er dieses Argument erst im Revisionsverfahren vorgebracht hatte. Es handelte sich also um neues Vorbringen in der Revisionsinstanz, das nach § 72 Abs. 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes, § 559 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden konnte. 

    Diese Chance, die Entgeltunterschiede zu rechtfertigen, hatte der Arbeitgeber also durch zu späten Vortrag vermasselt. Ob sein Vorbringen ausgereicht hätte, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

  • Last, but not least scheiterte der Arbeitgeber mit dem Argument, dass der männliche Kollege besser performe.
    Zum einen sind das laut Bundesarbeitsgericht Umstände, die sich bei der Einstellung noch gar nicht bestimmen lassen und zum anderen hatte der beklagte Arbeitgeber auch hierzu nicht konkret vorgetragen. 

Was lernen wir daraus?
Entgeltunterschiede zwischen den Geschlechtern sind auch in Zukunft nicht per se verboten. Sie müssen aber objektiv begründbar sein. Insoweit genügt es nicht, dass das andere Geschlecht einfach nur mehr Geld haben möchte und der Arbeitgeber sich hierauf sozusagen „ungeprüft“ einlässt.
Arbeitgeber sind daher gut beraten, Bewerbungsprozesse in Zukunft entsprechend zu dokumentieren.

Schlussbemerkung:
Das Gleichheitsgebot beim Entgelt gilt bekanntlich nur für gleiche/ gleichartige Tätigkeiten.
Auch hierzu hat das Bundesarbeitsgericht interessante Feststellungen getroffen. Im entschiedenen Fall waren sowohl die Klägerin als auch ihr männlicher Kollege im Vertriebsaußendienst mit gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnissen beschäftigt. Sie waren allerdings für unterschiedliche Kunden und auch für unterschiedliche Produkte zuständig. Die Unterschiede bei den Kunden und Produkten reichten dem Bundesarbeitsgericht aber nicht aus, um eine gleiche/ gleichartige Tätigkeit zu verneinen, da auch hierzu konkreter Sachvortrag des beklagten Arbeitgebers fehlte.
Oder anders gesagt: Ausgeschlossen ist ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung bei unterschiedlichen Kunden/ Produkten zwar nicht; das muss sich dann aber in der Wertigkeit niederschlagen und entsprechend vorgetragen werden.

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