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Aktuelles vom BAG zu Sonderzahlungen – Teil 1
Die Tücken des Freiwilligkeitsvorbehalts

Sonderzahlungen wie z. B. ein jährlicher Bonus, ein Weihnachts- oder Urlaubsgeld o. ä. sind beliebt, in rechtlicher Hinsicht aber mit vielen Haken und Ösen behaftet.
 
Zwei aktuelle Urteile des Bundesarbeitsgerichts belegen das. Die Urteile sind eine Mahnung an alle Unternehmen, auf eine „saubere“ Vertragsgestaltung zu achten.
In unserem heutigen Teil 1 geht es um die Tücken des Freiwilligkeitsvorbehalts, in Teil 2 wird es um die Kürzungsmöglichkeiten von Sonderzahlungen mit Leistungsbezug gehen.
 
In wirtschaftlich unsicheren Zeiten sind Sonderzahlungen en vogue, die unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden. Denn mehr „Beinfreiheit“ als durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt können Unternehmen nicht haben. Schließlich können Unternehmen bei einem Freiwilligkeitsvorbehalt jedes Jahr aufs Neue entscheiden, ob sie die Sonderzahlung gewähren oder aber nicht.
Und damit der Verwaltungsaufwand in Unternehmen möglichst gering ist, werden Freiwilligkeitsvorbehalte oft schon in Arbeitsverträgen verankert.
 
Das Problem aber ist:

Das Bundesarbeitsgericht mag Freiwilligkeitsvorbehalte, die schon in Arbeitsverträgen verankert sind, grundsätzlich nicht. Deshalb haben das Bundesarbeitsgericht und mit ihm die Arbeits- und Landesarbeitsgerichte ihre Rechtsprechung zu Freiwilligkeitsvorbehalten in Arbeitsverträgen im Laufe der letzten Jahre verschärft.
 
Über eine dieser Verschärfungen hatten wir Ihnen in unserem Newsletter vom 11.08.2022 berichtet. In dem dort vorgestellten Urteil hatte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 10.01.2022, Az.: 9 Sa 66/21) entschieden:
 
Ein Freiwilligkeitsvorbehalt ist nur wirksam, wenn aus der Regelung klar hervorgeht, dass sich der Freiwilligkeitsvorbehalt nicht auf spätere Individualabreden bezieht.
 
Diese Aussage wurde nun vom Bundesarbeitsgericht per Urteil vom 25.01.2023 (Az.: 10 AZR 109/22) bestätigt. Wörtlich sagt das Bundesarbeitsgericht:
 
„Nach § 305b BGB haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Individualabreden können grundsätzlich alle Abreden zwischen den Vertragsparteien außerhalb der einseitig vom Verwender vorgegebenen Geschäftsbedingungen sein. Sie können sowohl ausdrücklich als auch konkludent getroffen werden. Auch nachträglich getroffene Individualabreden haben Vorrang vor kollidierenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beabsichtigt haben oder sich der Kollision mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewusst geworden sind. Mit diesem Vorrang der Individualabrede ist ein Freiwilligkeitsvorbehalt nicht zu vereinbaren, der so ausgelegt werden kann, dass er Rechtsansprüche aus späteren Individualabreden ausschließt.[…]“
 
Wenn Sie einen Freiwilligkeitsvorbehalt schon im Arbeitsvertrag verankern möchten, müssen Sie sich also merken: Nehmen Sie Individualabreden ausdrücklich vom Freiwilligkeitsvorbehalt aus.
 
Leider sind das nicht die einzigen Beschränkungen, an denen die Vertragsgestaltung scheitern kann.
 
Weitere Beispiele für Fehlerquellen sind (und diese Aufzählung ist noch nicht abschließend):

  • Die Aussage, dass eine Zahlung „freiwillig“ erfolgt, genügt nicht. Das Zauberwort lautet vielmehr Freiwilligkeitsvorbehalt. Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist etwas anderes als freiwillige Leistungen. Oder anders gesagt: Durch die Bezeichnung einer Zahlung als freiwillige Leistung wird nur zum Ausdruck gebracht, dass der Arbeitgeber nicht durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz zu dieser Leistung verpflichtet ist; so sind z. B. auch vereinbarte übertarifliche Zahlungen freiwillige Leistungen.
    Wollen Arbeitgeber nicht nur freiwillige, sondern unter Freiwilligkeitsvorbehalt stehende Leistungen erbringen, müssen sie das daher deutlich zum Ausdruck bringen.
    Und das können Arbeitgeber wie schon gesagt nur durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt tun. Arbeitgeber sollten den Beschäftigten auch erläutern, was der Freiwilligkeitsvorbehalt bedeutet; nämlich, dass der Arbeitgeber jedes Jahr aufs Neue entscheidet, ob, in welcher Höhe und unter welchen Voraussetzungen er Sonderzahlungen leistet, sodass aus einer Zahlung kein Rechtsanspruch für die Zukunft entsteht.
  • Freiwilligkeitsvorbehalte sind unwirksam, wenn Arbeitgeber im ersten Satz schreiben, dass die Beschäftigten diese oder jene Sonderzahlung in Höhe von EUR XY brutto erhalten und erst im nächsten Satz einen Freiwilligkeitsvorbehalt hinzufügen.
    Oder anders gesagt: Das, was im ersten Satz der Klausel im Arbeitsvertrag versprochen wurde, darf im zweiten Satz nicht wieder relativiert werden.
  • Unwirksam sind ferner Freiwilligkeitsvorbehalte, die mit einem Widerrufsvorbehalt kombiniert werden. So liest man immer noch in vielen Arbeitsverträgen, dass der Arbeitgeber eine freiwillige und jederzeit widerrufliche Leistung gewährt.
    Solche Regelungen scheitern schon daran, dass sie widersprüchlich sind. Ein Freiwilligkeitsvorbehalt ist nämlich etwas völlig anderes als ein Widerrufsvorbehalt. Abgesehen davon sind in der gerade genannten beispielhaften Formulierung sowohl Freiwilligkeitsvorbehalt als auch Widerrufsvorbehalt unzureichend formuliert.
  • Unwirksam sind außerdem Klauseln, die jedwede zusätzlich zum Arbeitsvertrag erbrachten Leistungen unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt stellen. Denn nach der Rechtsprechung ist es verboten, laufende Zahlungen mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt zu belegen; bei laufenden Zahlungen kann also nur ein Widerrufsvorbehalt helfen, der Arbeitgebern aber weniger „Beinfreiheit“ lässt. 

Wenn Ihnen das alles zu kompliziert ist und Sie eine schlankere Lösung haben möchten, können Sie Folgendes tun:
Sie verbannen Freiwilligkeitsvorbehalte aus Ihrem Arbeitsvertrag. Stattdessen tun Sie den Freiwilligkeitsvorbehalt erst (und ggfs. immer wieder aufs Neue) kund, bevor Sie eine bestimmte Sonderzahlung leisten.
 
Auch bei diesem Prozedere (Freiwilligkeitsvorbehalt erst, wenn auch gezahlt wird) müssen Sie natürlich auf die Formulierung achten, insbesondere also darauf, dass Sie Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt nicht vermischen und ihn nicht für laufende Zahlungen benutzen.
Bei der Formulierung helfen wir natürlich gerne.

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