Skip to main content

BAG aktuell: Equal Pay bei Leiharbeit

Die meisten von Ihnen werden es schon gehört oder gelesen haben:
Das Bundesarbeitsgericht hat vorgestern entschieden (Az.: 5 AZR 143/19):

Tarifverträge, die ein niedrigeres Entgelt für Leiharbeitskräfte als für die Stammbelegschaft vorsehen, verstoßen nicht zwingend gegen europäisches Recht.

Nach unserer Lesart der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts gilt das jedenfalls dann, wenn Leiharbeitskräfte eine realistische Chance auf verleihfreie Zeiten haben, die nach dem nationalen Recht bezahlt werden müssen.

Damit Sie das Urteil einordnen können, nochmal der Reihe nach:

Es wurde viel darüber diskutiert, ob die deutsche Möglichkeit, per Tarifvertrag vom Equal Pay-Grundsatz abzuweichen, europarechtskonform ist.

Das Bundesarbeitsgericht hatte in dem gerade entschiedenen Fall die Frage daher zunächst dem Europäische Gerichtshof vorgelegt.

Per Urteil vom 15.12.2022 (Az.: C-311/21) entschied der Europäische Gerichtshof:
Das europäische Recht (genauer gesagt Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 2008/104/EG) lässt Abweichungen vom Equal Pay-Grundsatz durch einen Tarifvertrag dann zu, wenn die Tarifparteien die dadurch entstehenden Nachteile „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ kompensieren.

Infolgedessen musste das Bundesarbeitsgericht jetzt entscheiden, ob der dem Leiharbeitsverhältnis zugrundeliegende Tarifvertrag der iGZ und ver.di – insgesamt betrachtet – eine ausreichende Kompensation vorsah.

Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage, wie eingangs gesagt, mit Ja beantwortet.
Und das letztlich mit der Begründung, dass die Klägerin auch für verleihfreie Zeiten Anspruch auf die volle (tarifvertragliche) Vergütung habe. Das sei ein gegenüber der Stammbelegschaft bestehender Vorteil, der – nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts – den Nachteil des geringeren Entgelts aufwiegen kann.

Allerdings verstehen wir die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts so, dass zumindest die realistische Möglichkeit für solche bezahlte, verleihfreie Zeiten bestehen muss.
Das Bundesarbeitsgericht sagt in seiner Pressemitteilung nämlich wörtlich:

„Anders als in einigen anderen europäischen Ländern sind verleihfreie Zeiten nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich, etwa wenn – wie im Streitfall – der Leiharbeitnehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird oder der Entleiher sich vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer vorbehält. Das Tarifwerk von iGZ und ver.di gewährleistet die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten. Außerdem hat der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB, der an sich abdingbar ist, im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden kann.“

Das würde bedeuten: Leiharbeitskräfte, die von vornherein nur befristet, für einen bestimmten Kunden oder ein bestimmtes Projekt rekrutiert werden, hätten diesen Vorteil nicht und daher doch Anspruch auf Equal Pay.
Genaueres werden wir wissen, wenn die kompletten Entscheidungsgründe vorliegen.

Die Leiharbeitsbranche wird trotzdem aufatmen, hatten Juristen nach der Entscheidung des Europäische Gerichtshof doch schon das Ende der Leiharbeitstarifverträge propagiert, weil sie in den Zeitarbeitstarifverträgen keine angemessene Kompensation für die – verglichen mit der Stammbelegschaft – geringere Bezahlung erkennen konnten.

Ein rechtlicher Selbstläufer ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts trotzdem nicht. Denn die Entgeltfortzahlung in verleihfreien Zeiten ist keine Errungenschaft der Tarifparteien, sondern durch § 11 Absatz 4 Satz 2 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in Verbindung mit § 615 BGB (der grundsätzlich auch für die Stammbelegschaft des Entleihers gilt) gesetzlich vorgegeben.
Infolgedessen stellt sich die berechtigte Frage: Wie können Tarifverträge, die nur gesetzliche Bestimmungen wiederholen und noch dazu nur möglicherweise im Einzelfall einen Vorteil haben, Leiharbeitskräften eine angemessene Ausgleichszahlung bieten?

Auch darauf wird das Bundesarbeitsgericht hoffentlich Antworten geben.

  • Erstellt am .