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Arbeitsverhalten oder Ordnungsverhalten – das ist im Umgang mit dem Betriebsrat oft die große Frage

Unternehmen mit Betriebsrat stehen oft vor der Frage:
 
Betrifft eine Maßnahme das Arbeits- oder das Ordnungsverhalten?
 
Die Antwort auf die Frage ist für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats entscheidend:

  • Betrifft die Maßnahme das Arbeitsverhalten, hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes.
  • Betrifft die Maßnahme allerdings das Ordnungsverhalten, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes. 

Wie viele von Ihnen wissen, ist die Abgrenzung nicht immer leicht. Deshalb sind die folgenden, aktuellen Entscheidungen eine Bereicherung für die betriebliche Praxis.

1. In dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 13.10.2022 (Az.: 3 TaBV 24/22) hatte die Geschäftsführung ohne Beteiligung des Betriebsrats folgendes Verbot der Nutzung privater Handys während der Arbeitszeit ausgegeben:

„Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit weisen wir darauf hin, dass jede Nutzung von Mobiltelefonen/ Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit nicht gestattet ist. Sofern gegen dieses Verbot verstoßen wird, ist mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen – bis hin zur fristlosen Kündigung – zu rechnen.“

 
Der Betriebsrat sah hierin eine Maßnahme zur Regelung des Ordnungsverhaltens, monierte die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts und ging vor Gericht.
 
Der Betriebsrat unterlag sowohl in erster als auch in zweiter Instanz.
 
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen betrifft diese Weisung nämlich das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten und nicht das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten.
 
Gegenstand der Weisung – so die niedersächsischen Landesarbeitsrichter – sei die Festlegung, welche Tätigkeiten die Beschäftigten während ihrer Arbeitszeit zu unterlassen haben.
 
Ein Vergleich zum Radiohören während der Arbeitszeit, das grundsätzlich das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten betrifft, sei hier fehl am Platz:
Beschäftigte, die ihr privates Mobiltelefon/Smartphone nutzen, könnten durch den Blick auf das Telefon, dessen Entsperren etc. nämlich regelmäßig keine Arbeitsleistung erbringen.
 
Da die Frage grundsätzliche Bedeutung hat, hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist bereits beim Bundesarbeitsgericht (BAG) anhängig. Sobald das BAG entschieden hat, werden wir berichten.
 
2. Im zweiten Fall, den das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern per rechtkräftigem Beschluss vom 29.03.2022 (Az.: 5 TaBV 12/21) entschieden hat, ging es um ein vom Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats ausgesprochenes Rauchverbot außerhalb der tariflichen Pausenzeiten.
Das Ziel der Maßnahme war klar: Der Arbeitgeber wollte hiermit zusätzliche Rauchpausen unterbinden.
 
Auch hier stellte sich die Preisfrage, ob das Rauchverbot außerhalb der offiziellen Pausen das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten oder das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten betrifft.
 
Und wieder scheiterte der Betriebsrat vor Gericht.
 
Die Anordnung beträfe – so das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – das Arbeitsverhalten. Die Anordnung sei ausschließlich auf die Einhaltung der Arbeitszeiten gerichtet. Rauchen außerhalb der vorgesehenen Pausen stelle eine Unterbrechung der Arbeitstätigkeit dar. Unternehmen seien aber nicht verpflichtet, solche Arbeitsunterbrechungen zu dulden.
 
Hier wurde die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.
 
Ergänzende Anmerkung:
Weitere Maßnahmen, die sich um den Nichtraucherschutz und die Frage, wo Raucher rauchen dürfen, ranken, sind dagegen nach § 87 Absatz 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes mitbestimmungspflichtig.
Hierzu hatte das Unternehmen mit Zustimmung des Betriebsrats auch eine Betriebsordnung erlassen. Diese mitbestimmte Betriebsordnung wurde vom Arbeitgeber dann ohne erneute Beteiligung des Betriebsrats durch besagtes Rauchverbot außerhalb der offiziellen Pausen ergänzt.
 
3. Viel diskutiert wird außerdem die Frage, wie es um die Mitbestimmung des Betriebsrats bestellt ist, wenn der Arbeitgeber von seinem in § 5 Absatz 1 Satz 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes verankerten Recht Gebrauch macht und die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (seit Inkrafttreten der eAU: die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit) schon zu einem früheren als dem gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt verlangt.
In dem Fall ging es um ein Unternehmen mit über 1.000 Beschäftigten, das seit dem Jahr 2018 gegenüber insgesamt 17 Beschäftigten folgende schriftliche Anordnung erlassen hatte:
 
„In Abstimmung zwischen Ihrem Fachvorgesetzten und dem Personalleiter sind Sie ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest – vom ersten Fehltag an – dem Servicecenter-Personal vorzulegen.
Bitte beachten Sie, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden, wenn Sie dieser Nachweispflicht nicht nachkommen […]“

 
Der Fall ging bis zum Bundesarbeitsgericht und wurde per Beschluss vom 15.11.2022 (Az.: 1 ABR 5/22) von unseren höchsten deutschen Arbeitsrichtern wie folgt entschieden:

  • Die zeitliche Vorverlegung der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Anmerkung von uns: die seit Inkrafttreten der eAU durch die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ersetzt wurde) betrifft grundsätzlich das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten.
    Da § 87 Absatz des Betriebsverfassungsgesetzes an kollektive Regelungen anknüpft, ist ein Ordnungsverhalten aber nur dann mitbestimmungspflichtig, wenn es einen kollektiven Sachverhalt betrifft.
    Ein kollektiver Sachverhalt liegt vor, wenn entsprechende Anordnungen des Arbeitgebers regelhaft erfolgen. 

    Eine solche Regelhaftigkeit lehnte das Bundesarbeitsgericht im entschiedenen Fall ab. Für die Regelhaftigkeit komme es darauf an, ob das „Ob“ der Vorverlegung der Nachweispflicht regelhaft erfolge. Dafür gab es im entschiedenen Fall laut Bundesarbeitsgericht keine Anhaltspunkte.
    Das Unternehmen hatte nämlich keine Regelung aufgestellt, nach der alle Beschäftigten die in einem bestimmten Zeitraum an xy Tagen krank waren, die Nachweispflicht schon vom ersten Tag an erfüllen müssen. Die Zahl der insgesamt 17 betroffenen Personen lasse laut Bundesarbeitsgericht ebenso wenig einen Schluss auf eine Regelhaftigkeit bzw. einen kollektiven Sachverhalt zu. Unstreitig hatte das Unternehmen, das mehr als 1.000 Personen beschäftigt, in den letzten 3 Jahren nämlich nur gegenüber 17 Beschäftigten die Nachweispflicht vorverlegt.
    Da nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nur das „Ob“ über einen kollektiven Sachverhalt entscheidet, war es nach Meinung der Erfurter Bundesarbeitsrichter egal, dass das „Wie“ der Umsetzung (Abstimmung zwischen Fachvorgesetztem und Personalleiter sowie schriftlich) in allen 17 Fällen gleich erfolgte.

  • Last but not least bekräftigt das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung noch einmal seine bisherige Rechtsprechung, dass Arbeitgeber für die Vorverlegung der Nachweispflicht keinen sachlichen Grund haben müssen. 

Schlussbemerkung zum Arbeits-/Ordnungsverhalten: Manchmal gibt es auch Maßnahmen, die sowohl das Arbeits- als auch das Ordnungsverhalten betreffen. Dann kommt es darauf an, welcher Regelungszweck objektiv überwiegt. Die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers sind nicht entscheidend.

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