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Newsletter-Reihe „Corona-Urteile" Teil 3

In unserem heutigen Newsletter zu interessanten Corona-Urteilen geht es um Reiserückkehrer und um das Verhältnis zwischen Quarantäne und Erkrankung:

Rückkehr aus Hochrisiko-Gebiet und anschließende Corona-Infektion: Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch bei Quarantäne und kein Eigenverschulden
 
Das Arbeitsgericht Kiel (5 Ca 229 f/22) hatte über einen Fall aus Januar / Februar 2022 zu entscheiden, in dem sich Folgendes zugetragen hatte:

Die dreifach geimpfte Klägerin reiste in ein vom Robert-Koch ausgewiesenes Hochrisikogebiet. Schon bei der Abreise lag die Inzidenz am Urlaubsort allerdings deutlich über der in Deutschland, eine Woche nach ihrer Rückkehr war die Inzidenz in Deutschland auf das 20-fache der am Urlaubsort festgestellten Inzidenz gestiegen. Unmittelbar nach der Urlaubsrückkehr wurde die Klägerin positiv auf das Corona-Virus getestet; dies teilte sie der Beklagten unverzüglich mit.
Zwei Tage später legte sie eine AU vor, die ihr eine voraussichtlich 10 Kalendertage (also während der gesamten Dauer der Isolation) andauernde Arbeitsunfähigkeit attestierte; sie erwähnte dabei allerdings, dass es ihr "gut ginge".
Die beklagte Arbeitgeberin verweigerte nun die Entgeltfortzahlung: Die Klägerin sei gar nicht arbeitsunfähig, weil sie keine Symptome habe. Für Fälle einer symptomlosen Infektion sei der Ersatzanspruch nach § 56 IfSG vorgesehen; es handele sich hingegen nicht um einen Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Außerdem habe die Klägerin die Infektion durch ihre – vermeidbare – Reise in ein Risikogebiet selbst verschuldet.
Die Klägerin machten den Entgeltfortzahlungsanspruch vor dem Arbeitsgericht geltend.
Mit Erfolg!
 
Das Arbeitsgericht begründet sein Urteil mit einigen richtigen und einigen weniger richtigen Feststellungen:

  • Beschäftigte sind auch dann arbeitsunfähig krank im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, wenn sie symptomlos mit einem Krankheitserreger infiziert sind und nicht im Homeoffice arbeiten können.
    Es kann deshalb (so das Arbeitsgericht) dahingestellt bleiben, ob die Klägerin Symptome einer Corona-Infektion hatte oder nicht.

    Wir teilen diese Auffassung nicht und befinden uns hierbei auch in guter Gesellschaft namhafter Literaturstimmen und der Gerichte, die eine analoge Anwendung von § 9 des Bundesurlaubsgesetzes auf die Quarantäne ablehnen.

    Zumindest dann, wenn alleiniger oder jedenfalls entscheidender Kausalfaktor für den Leistungsausfall von Beschäftigten das infektionsschutzrechtliche Quarantänegebot ist, handelt es sich - nach unserer Auffassung - um ein gesamtgesellschaftliches Risiko. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die daraus resultierenden Entgeltfortzahlungskosten einseitig den Unternehmen auferlegt werden sollten. Rechtsökonomisch erscheint es vielmehr sinnvoll und rechtlich gut begründbar, dies über § 56 IfSG als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verorten.

  • Die angeordnete Quarantäne schließt den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht aus!
    Diese außerordentlich wichtige Feststellung begründet das Arbeitsgericht Kiel folgendermaßen:

    „Zwar muss die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache (Monokausalität) für die Arbeitsverhinderung sein. Der Arbeitgeber wird mit dem Entgelt ohne Gegenleistung nur belastet, wenn der AN ohne Erkrankung gearbeitet hätte. Das ist nicht der Fall, wenn die Arbeit zumindest auch aus einem anderen Grund nicht geleistet worden ist (m. w. N.). Die Quarantäne-Anordnung ist jedoch kein die Monokausalität ausschließender Hinderungsgrund, da sie im Fall einer mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierten Person eine Folge der Infektion und kein weiterer selbständiger Umstand ist, der einen Grund für die Arbeitsverhinderung bildet (m. w. N).“

    Das ist gut vertretbar, wenn die Beschäftigten auch tatsächlich krank sind, s. unsere vorangegangene Anmerkung.

  • Entgeltfortzahlungsansprüche (so denn welche bestehen) gehen Entschädigungsansprüchen nach dem IfSG vor.
    Dass der Entschädigungsanspruch nach dem IfSG nachrangig ist, d. h. nur greift, wenn der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung schuldet, war und ist herrschende Meinung.

  • Keine selbst verschuldete Arbeitsunfähigkeit:
    Jedenfalls dann, wenn die Inzidenzwerte im Urlaubsgebiet nicht deutlich über den Inzidenzwerten des Wohn- und Arbeitsorts bzw. der Bundesrepublik liegen, verstößt der Arbeitnehmer nicht in grober Weise gegen sein Eigeninteresse. Die Reise in das Hochrisikogebiet geht dann nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus.

    Diese Meinung teilen wir. Bleibt die Frage, ob eine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet ist, wenn die Inzidenz im Reiseland weit oberhalb der Inzidenz am Wohn- und Arbeitsort liegt.

 
Annahmeverzugslohn, wenn Arbeitgeber durch unangemessenes Betretungsverbot die Arbeitsleistung verhindert

Dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 10.08.2022 (AZ: 5 AZR 154/22) hat auch in der Tagespresse Wellen geschlagen.
Im entschiedenen Fall hatte der beklagte Arbeitgeber einem Arbeitnehmer nach dessen Rückkehr aus einem Risikogebiet im August 2020 ein 14-tätiges Betretungsverbot des Betriebsgeländes auferlegt; Lohn zahlte er für diesen Zeitraum nicht.

Der betroffene Arbeitnehmer hatte aber die damals geltenden Vorschriften bei der Einreise (PCR-Test und ärztliches Attest über Symptomfreiheit) eingehalten und unterlag deshalb keiner Absonderungspflicht. Der Arbeitgeber, ein Lebensmittelproduzent, schloss ihn trotzdem aus und berief sich dabei auf das betriebliche Hygienekonzept.

So geht es nicht, urteilte nun im Anschluss an die Vorinstanzen auch das Bundesarbeitsgericht: Wenn der Arbeitgeber die Ursache für die Nichterbringung der Arbeitsleistung selbst setzt, ohne dass dafür ein besonderer und konkreter Grund vorliegt, kann er das Gehalt nicht mit der Begründung vorenthalten, der Arbeitnehmer sei nicht leistungsfähig gewesen. 

Dabei half es dem Arbeitgeber auch nicht, dass er das betriebliche Hygienekonzept, auf das er sich stützte, im Vorhinein mit dem Betriebsrat abgestimmt hatte. 

Der Arbeitgeber konnte nicht darlegen, dass es ihm wegen der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar gewesen ist, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anzunehmen. Davon abgesehen war das Betretungsverbot ohne Fortzahlung der Vergütung auch unbillig; so hätte der Arbeitgeber dem Betroffenen zB die Möglichkeit geben können, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen. Auch durch diese Maßnahme wäre dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer Rechnung getragen worden. 
 
Diese Entscheidung zeigt, dass Arbeitgeber gute Gründe haben müssen, wenn sie strengere als die vom Gesetzgeber vorgesehenen Schutzmaßnahmen im Betrieb umsetzen wollen. Und wenn sie das tun, darf es sich in aller Regel nicht auf die Vergütung niederschlagen.

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