Skip to main content

Der Paukenschlag aus Erfurt - Teil 2 - Die Pressemitteilung

Wie versprochen sind wir "dran geblieben".
Das BAG hat nun auch eine offizielle Pressemitteilung zur heutigen Grundsatzentscheidung veröffentlicht, deren Volltext finden Sie hier.

Der maßgebliche Satz findet sich direkt zu Beginn:
"Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann."

So unmissverständlich diese Aussage auf den ersten Blick ist, so unklar ist sie bei näherer Betrachtung. 

§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) lautet nämlich wie folgt:
"Zur Planung und Durchführung der [Arbeitsschutz-] Maßnahmen [...] hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen [...]".

Die bisher einhellige Auffassung war, dass sich der Gesetzgeber in § 3 Abs. 2 ArbSchG auf die Normierung einiger grundlegender Organisationspflichten beschränkt hat und die konkrete Ausgestaltung der Arbeitsschutzorganisation der Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers überlässt. Dass das Bundesarbeitsgericht nun offenbar die Auffassung vertritt, der Handlungsspielraum des Arbeitgebers sei mit Blick auf die Erfassung der Arbeitszeit derartig eingeschränkt, dass daraus eine eindeutige Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung resultiert, überrascht etwas.

Noch überraschender ist dies jedoch mit Blick auf die ursprünglich zu entscheidende Frage nach den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats.

Wer sich an unseren Newsletter vom 11.11.2021 zur Entscheidung der Vorinstanz erinnert, weiß, dass der zu entscheidende Rechtsstreit eigentlich die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Einführung der Arbeitszeiterfassung betrifft. Das LAG Hamm hatte entschieden, dass der Betriebsrat ein Initiativrecht geltend machen, also verlangen kann, dass Arbeitgeber ein Zeiterfassungssystem im Betrieb einführen. Das BAG hat dies nun verneint, allerdings mit der Begründung, dass eine solche Verpflichtung schon aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG resultiert, so dass für ein Initiativrecht des Betriebsrats kein Raum mehr bleibt.

Nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und der überwiegenden Meinung im Schrifttum handelt es sich bei den sog. Generalklauseln des Arbeitsschutzes (zu denen auch § 3 ArbSchG gehört) um ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Das bedeutet, dass Maßnahmen, die der Arbeitgeber zur Umsetzung seiner Verpflichtungen aus Abs. 1 und 2 trifft, grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen.

Wenn das Bundesarbeitsgericht nun also die Auffassung vertritt, dass das "Ob" der Einführung eines Zeiterfassungssystems gesetzlich geregelt und damit der Mitbestimmung des Betriebsrats entzogen ist, hätten wir erwartet, dass es dem Betriebsrat im gleichen Atemzug ein Mitbestimmungsrecht bei der konkreten Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung zuspricht. Der Pressemitteilung lässt sich dazu aber nichts entnehmen.

Es bleibt also rätselhaft. Hoffentlich wird die Veröffentlichung der Urteilsbegründung Licht ins Dunkel bringen.

  • Erstellt am .