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Vorsicht bei Zusagen von Betriebsratsvorsitzenden – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Jeder kennt das: Man verhandelt mit einem „Vertreter“ und hat aufgrund der Umstände keinen Zweifel daran, dass er das andere Unternehmen auch vertreten darf.
Wenn die Umstände ein dementsprechendes Vertrauen rechtfertigen, spielt es rechtlich keine Rolle, wenn der „Vertreter“ gar keine Vertretungsmacht hatte.
Dogmatische Grundlage für den Vertrauensschutz ist das Rechtsinstitut der sogenannten Rechtsscheinvollmacht.
 
Aber gibt es eine Rechtsscheinvollmacht auch für Betriebsratsvorsitzende?
 
Die Antwort auf die Frage ist wichtig, weil Betriebsratsvorsitzende eine Betriebsvereinbarung unterschreiben und auch in anderen Fällen das alleinige Gegenüber des Arbeitgebers sind.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte in seiner Entscheidung vom 15.04.2021 (Az.: 11 Sa 490/20) geurteilt, dass es eine Rechtsscheinvollmacht auch für Betriebsratsvorsitzende gäbe. Nach Meinung der Düsseldorfer Landesarbeitsrichter war die vom Betriebsratsvorsitzenden unterschriebene Betriebsvereinbarung, für die es keinen Betriebsratsbeschluss gab, daher wirksam.
 
Dem hat das Bundesarbeitsgericht in seiner vor wenigen Tagen veröffentlichten Entscheidung vom 08.02.2022 (Az.: 1 AZR 233/21) nun widersprochen.
 
Nach Meinung unseres höchsten deutschen Arbeitsgerichts können die Grundsätze zur Rechtsscheinvollmacht nicht für Betriebsratsvorsitzende, die ohne Betriebsratsbeschluss gehandelt haben, gelten.
Begründung: Nach § 26 Absatz 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes vertritt die/der Vorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der vom Betriebsrat gefassten Beschlüsse.
 
Gibt es keinen Betriebsratsbeschluss, kann das Handeln des Betriebsratsvorsitzenden dem Gremium Betriebsrat also auch nicht zugerechnet werden.Eine Vertretung des Betriebsrats bei der Willensbildung der Betriebsratsmitglieder sieht das Gesetz nun mal nicht vor.
Die Betriebsvereinbarung, um die es im vorliegenden Fall ging, war deshalb unwirksam.
 
Die Rechtsprechung zur Anhörung des Betriebsrats vor einer Kündigung nach § 102 des Betriebsverfassungsgesetzes, wonach sich Mängel im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens nicht zu Lasten von Arbeitgebern auswirken, ist und bleibt also ein Sonderfall, was das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 08.02.2022 auch ausdrücklich sagt.
Ob das konsequent ist, sei dahingestellt.
Im Zweifelsfall sollten Sie auch im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG Vorsicht walten lassen, insbesondere dann, wenn der Betriebsratsvorsitzende Ihnen gegenüber schon vor Ablauf der Wochenfrist eine Erklärung abgibt und sie dementsprechend früh kündigen wollen.
 
Da das Bundesarbeitsgericht die Not von Arbeitgebern erkannt hat, hat es den Arbeitgebern aber auch in sein Urteil geschrieben, wie sie sich schützen können:

  • Vor Abgabe einer Erklärung der/des Betriebsratsvorsitzenden (z. B. Abschluss bzw. Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung):
    Arbeitgeber können bereits im Vorfeld die erforderliche Beschlussfassung des Betriebsrats veranlassen und sich diese durch Aushändigung einer Kopie der Sitzungsniederschrift nachweisen lassen. Dies schlussfolgert das Bundesarbeitsgericht aus § 29 Absatz 3 und Absatz 4 i. V. m. § 34 Absatz 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes. Aus dieser Sitzungsniederschrift müssen sich alle für den Arbeitgeber wichtigen Informationen ergeben (Inhalt des Beschlusses, Stimmverhältnis, Anwesenheitsliste und ordnungsgemäße Unterzeichnung der Sitzungsniederschrift); dies folgt aus § 34 Absatz 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes.

  • Nach Abgabe einer Erklärung der/des Betriebsratsvorsitzenden:
    Nachträglich können Arbeitgeber dreierlei tun:
    - Sie können und sollten zeitnah eine Kopie der Sitzungsniederschrift mit den gerade beschriebenen Inhalten verlangen.
    - Gibt es die nicht, weil es keinen Betriebsratsbeschluss gibt, können Arbeitgeber sich folgendermaßen schützen:
    a) Sie fordern den Betriebsrat auf, das Handeln der/des Betriebsratsvorsitzenden rückwirkend zu genehmigen (Analogie zu § 177 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Dann muss der Betriebsrat innerhalb von 2 Wochen genehmigen; tut er das nicht, bleibt die Erklärung/Vereinbarung unwirksam.
    b) Alternativ können Arbeitgeber auch dadurch Rechtssicherheit schaffen, dass sie nicht auf die Genehmigung durch das Gremium drängen, sondern die von ihnen gemachte Erklärung/ Zustimmung ihrerseits widerrufen. Das geht allerdings nur so lange, solange der Betriebsrat die von dem/der Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärungen nicht von sich aus genehmigt.

Ob Arbeitgeber das eine oder andere tun sollten, hängt wohl davon ab, wie groß ihr Interesse ist, z. B. an der von der/dem Betriebsratsvorsitzenden ohne Betriebsratsbeschluss abgegebenen Erklärung festzuhalten.

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