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Unwirksame Versetzungsklauseln: Doppeltes Leid für Arbeitgeber

Arbeitgeber sind durch unwirksame Versetzungsklauseln gleich in doppelter Hinsicht bestraft, wie das gerade veröffentlichte Urteil des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vom 16.12.2021 (Az.: 10 Sa 663/21) deutlich macht.
 
In dem Fall ging es um folgende sehr praxisrelevante Problematik:
Der Arbeitgeber führte einen Personalabbau durch. Hintergrund des Personalabbaus war die Einstellung des Vertriebs einer ganz bestimmten Marke.

Die Klägerin war laut Arbeitsvertrag für den Vertrieb der Marke, deren Verkauf eingestellt wurde, angestellt.
Gleichzeitig enthielt der Arbeitsvertrag aber auch einen Versetzungsvorbehalt, der den Arbeitgeber berechtigen sollte, der Klägerin auch andere Tätigkeiten zuzuweisen und sie auf anderen Positionen einzusetzen.
 
Der Arbeitgeber machte nun etwas, was viele Arbeitgeber in der gleichen Situation tun würden:
Er kündigte der Klägerin (da sie ja für den Vertrieb mit dieser Marke angestellt wurde) ohne eine Sozialauswahl mit den Vetriebler:innen durchzuführen, die andere Marken verkaufen.
 
Unternehmerisch ist das sicher nachvollziehbar. Rechtlich ist diese Herangehensweise wegen des Versetzungsvorbehalts falsch. Denn auch Arbeitsplätze, auf die Beschäftigte versetzt werden können, sind vergleichbare Arbeitsplätze im Sinne der Sozialauswahl.
Rechtlich hätte der Arbeitgeber dann recht gehabt und auch bekommen, wenn er die Klägerin im Arbeitsvertrag als Vertrieblerin für die Marke xy angestellt und keinen Versetzungsvorbehalt mit ihr vereinbart hätte.
Der Versetzungsvorbehalt war es also, der dem Arbeitgeber im Prozess einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
 
Erste Lehre aus dem Urteil
 
Die Reichweite der Sozialauswahl bestimmt sich nach dem arbeitsvertraglich vereinbarten Einsatzgebiet inklusive einer eventuell vereinbarten Versetzungsmöglichkeit auf andere Arbeitsplätze.
 
Je weiter also das arbeitsvertraglich vereinbarte Einsatzgebiet ist, desto größer ist auch der Kreis derjenigen, die Arbeitgeber in die Sozialauswahl mit einbeziehen müssen.
 
Arbeitgeber sollten sich daher gut überlegen, ob sie Tätigkeiten in einem Arbeitsvertrag bewusst eng oder bewusst weit formulieren.

Der Vorteil einer engen Formulierung ist wie gesagt die Beschränkung der Sozialauswahl schon im Arbeitsvertrag.
 
Der Vorteil einer weiten Formulierung, ob nun schon im Zusammenhang mit der vereinbarten Tätigkeit („Sachbearbeiter“) oder im Zusammenhang mit einem Versetzungsvorbehalt wie hier, ist eine flexiblere Einsatzmöglichkeit, ohne dass man auf eine Vertragsänderung, sprich die Zustimmung der / des Beschäftigten angewiesen ist.

Um die Vorteile eines Versetzungsrechts in Anspruch nehmen zu können, muss man den Versetzungsvorbehalt allerdings rechtsprechungskonform formulieren.
 
Rechtsprechungskonform sind Versetzungsvorbehalte aber nur dann, wenn sie sich ausdrücklich auf gleichwertige Arbeitsplätze beziehen.
Genau diese Einschränkung fehlte in dem mit der Klägerin geschlossenen Vertrag.
 
Die Anwälte des Arbeitgebers kamen nun auf die scheinbar pfiffige Idee, die falsch gelaufene Sozialauswahl mit der Begründung zu heilen, dass die Versetzungsklausel unwirksam sei und sich das auch auf die Sozialauswahl auswirken müsse.
 
Dem hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 16.12.2021 (Az.: 10 Sa 663/21) widersprochen und dabei einen allgemeinen Grundsatz herangezogen, der für vom Arbeitgeber vorformulierte Vertragsklauseln gilt:
Der Arbeitgeber kann sich grundsätzlich nicht auf die Unwirksamkeit von Bestimmungen berufen, die er selbst geschaffen hat.
 
Es blieb also dabei, dass der Arbeitgeber trotz unwirksamer Versetzungsklausel eine Sozialauswahl mit Vertriebler:innen anderer Marken hätte durchführen müssen, die er nicht durchgeführt hat und die zu dem Ergebnis geführt hätte, dass nicht die Klägerin, sondern ein anderer Beschäftigter mit schlechteren Sozialdaten hätte gekündigt werden müssen. Die Kündigung war daher unwirksam.
 
Um unseren Leser:innen die Tragweite der Benutzung unwirksamer Versetzungsklauseln noch besser vor Augen zu führen, wandeln wir den Fall jetzt mal ab:
 
Was wäre denn gewesen, wenn der Arbeitgeber der Klägerin nicht gekündigt, sondern sie in den Vertrieb einer anderen Marke versetzt hätte?
Dann hätte die Klägerin die Versetzung angreifen können, weil der Versetzungsvorbehalt unwirksam ist.
Im Gegensatz zu Arbeitgebern können sich Arbeitnehmer:innen, wenn es für sie von Vorteil ist, nämlich auf die Unwirksamkeit von Arbeitsbedingungen berufen.
 
Fazit:

Unwirksame Versetzungsklauseln können doppeltes Leid für Arbeitgeber bedeuten:
Eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz ist unwirksam. Bei der Sozialauswahl müssen Arbeitgeber aber so tun, als könnten sie versetzen.

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