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BAG neu: Welche Zahlungsverpflichtungen sind bei einer krankheitsbedingten Kündigung zu berücksichtigen?

Bei einer krankheitsbedingten Kündigung müssen kurz gesagt 3 grundsätzliche Voraussetzungen erfüllt sein, als da sind:

  1. Die/der Beschäftigte muss eine negative Gesundheitsprognose haben.
  2. Die Arbeitsunfähigkeit muss die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigen.
  3. Die bei jeder Kündigung durchzuführende allgemeine Interessenabwägung muss zulasten der/des Beschäftigten ausgehen.

Das gerade im Volltext veröffentlichte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22.07.2021 (Az.: 2 AZR 125/21) befasst sich mit der 2. Voraussetzung, also der Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers durch die Erkrankung der/des Beschäftigten.

Bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen begründen viele Arbeitgeber die Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen nämlich mit den auch weiterhin zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen durch die voraussichtlich auch für künftige Erkrankungen aufzubringenden Entgeltfortzahlungskosten.
Hierbei sind zunächst zwei Dinge wichtig:

  • Für die Prognose künftiger Ausfallzeiten ist grundsätzlich ein vergangenheitsbezogener Referenzzeitraum von 3 Jahren maßgeblich.
  • Für die Beurteilung der auch in Zukunft zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen kommt es daher auf die in diesem Referenzzeitraum geleisteten Kosten für die Entgeltfortzahlung an. Für eine krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen können diese wirtschaftlichen Belastungen allerdings von vornherein nur herhalten, wenn sie in jedem der 3 Jahre oberhalb der gesetzlichen Entgeltfortzahlungspflicht von 6 Wochen liegen.

Aber welche Entgeltfortzahlungskosten sind insoweit zu berücksichtigen?
 
Längst nicht alle, wie das Bundesarbeitsgericht jetzt entschied!

Nicht berücksichtigt werden dürfen laut Bundesarbeitsgericht nämlich:

  • freiwillige Zuschüsse des Arbeitgebers zum Krankengeld.
  • Leistungen des Arbeitgebers, mit denen ausschließlich erbrachte und/oder künftige Betriebstreue belohnt wird, z. B. also Betriebstreue-Boni, die lediglich an den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpfen.
  • Sonderzahlungen, mit denen der Arbeitgeber auch die erbrachte Arbeitsleistung belohnen möchte. Im konkreten Fall waren das u. a. Urlaubsgeld und ein Tankdeputat.
    Zwar haben Arbeitgeber platt und unjuristisch gesprochen einen "Schaden", wenn sie solche Leistungen trotz der Krankheit erbringen müssen.
    Das ist laut Bundesarbeitsgericht aber das Problem des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber habe nämlich die Möglichkeit, bei solchen, auch leistungsbezogenen Sonderzahlungen eine Kürzungsmöglichkeit nach § 4 a des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) zu vereinbaren. Wenn der Arbeitgeber das nicht tue, sei er selbst schuld. Oder um es mit den Worten des Bundesarbeitsgerichts zu sagen: Fehlt es an einer Kürzungsregelung, hat der Arbeitgeber das Risiko der unverminderten Zahlung zu tragen.
  • Ausschließlich leistungsbezogene Sonderzahlungen wie z. B. Boni o. ä.
    Insoweit deutet das Bundesarbeitsgericht an, dass leistungsbezogene Sonderzahlungen per se um Zeiten ohne Entgeltfortzahlungsanspruch (also nach Ablauf von 6 Wochen) gekürzt werden können. Unabhängig davon habe der Arbeitgeber auch hier die Möglichkeit, eine Kürzung nach § 4 a EFZG zu vereinbaren.

Hinweise für die betriebliche Praxis:
Die Kürzungsmöglichkeit von Sonderzahlungen nach § 4 a EFZG ist kein Selbstläufer, sondern muss vereinbart werden. Nach Meinung einiger Gerichte reicht es insoweit nicht aus, lediglich den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Es ist also gar nicht so leicht, eine Kürzung nach § 4 a EFZG "handwerklich" korrekt abzubilden.
§ 4 a EFZG erlaubt eine Kürzung der Sonderzahlung schon ab dem ersten Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, dies allerdings nur in Höhe von bis zu einem Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt.
Alternativ sollte daher über die Vereinbarung einer Kürzungsregelung nachgedacht werden, nach der die Sonderzahlung für Zeiten ohne Vergütungsanspruch zeitanteilig gekürzt wird. Zwar denkt das Bundesarbeitsgericht in der heute besprochenen Entscheidung ausdrücklich darüber nach, ob sich diese Kürzung bei ausschließlich leistungsbezogenen Sonderzahlungen nicht schon von selbst ergibt. Darauf sollten Sie sich aber nicht verlassen und auch eine solche Kürzung ausdrücklich mit den Beschäftigen vereinbaren. Bleibt die Frage, was besser ist, die Vereinbarung einer Kürzung nach § 4 a EFZG schon ab dem ersten Krankheitstag oder die Vereinbarung einer zeitanteiligen Kürzung für Zeiten ohne Gehaltsanspruch. Dies lässt sich nicht ohne Weiteres sagen. Die Kürzung nach § 4 a EZFG greift zwar schon ab dem ersten Krankheitstag. Sie fällt aber ungleich kleiner aus als die zeitanteilige Kürzung für Zeiten ohne Gehalts-/ Entgeltfortzahlungsanspruch.

Wichtig ist auch: Bisher war nicht unumstritten, ob die Kürzung nach § 4 a EFZG auch bei leistungsbezogenen Sonderzahlungen vereinbart werden kann. Dieser Streit dürfte aufgrund dieses Urteils nun zugunsten einer auch in diesen Fällen möglichen Kürzung entschieden sein.
 
Wie dem auch sei: Arbeitgeber müssen ihre wirtschaftlichen Belastungen künftig ohne die zuvor genannten Leistungen ermitteln. Wenn dieser Betrag unterhalb der für 6 Wochen geschuldeten Lohnfortzahlung pro Jahr liegt, können sie eine krankheitsbedingte Kündigung von vornherein vergessen. Und wenn nicht, ist die krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen leider auch kein Selbstläufer.
 
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