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Ermittlungspflicht des Arbeitgebers im Hinblick auf mutmaßliche Fortsetzungserkrankungen?

Wieder ein Fall mitten aus dem Leben von Personalverantwortlichen:
 
Ein:e Arbeitnehmer:in ist mit kürzeren Unterbrechungen länger als sechs Wochen krank. Da der Arbeitgeber die Krankheitsursache nicht kennt, leistet er immer wieder aufs Neue Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
 
Irgendwann teilt dann die Krankenkasse mit, dass teilweise eine Fortsetzungserkrankung vorlag.
Und was macht der Arbeitgeber nach einer solchen Mitteilung?
Er verlangt das für diesen Zeitraum zu Unrecht gezahlte Entgelt natürlich von der/dem Beschäftigten zurück.
 
Oft kommt die Mitteilung der Krankenkasse allerdings so spät, dass die Rückforderung erst nach Ablauf der tarif- oder arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen erfolgt.
 
Und nun? Kann der Arbeitgeber die Rückzahlung trotzdem noch verlangen? Oder können Beschäftige sich in einer solchen Situation erfolgreich darauf berufen, dass der Rückforderungsanspruch wegen der arbeits- oder tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen ist?
 
Die Fragen sind durchaus berechtigt, wenn man bedenkt, dass Beschäftigte dem Arbeitgeber dabei behilflich sein müssen, aufzuklären, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt oder aber nicht.
Konkret gilt für die Mitwirkungspflicht von Beschäftigten bei Fortsetzungserkrankungen Folgendes:

  • Sind Beschäftigte innerhalb der Zeiträume des § 3 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 des Entgeltfortzahlungsgesetzes länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt, müssen sie darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Das kann z. B. durch eine ärztliche Bescheinigung geschehen.
  • Bestreitet der Arbeitgeber die neue Erkrankung trotzdem, müssen die Arbeitnehmer:innen Tatsachen vortragen, die den Schluss erlauben, es habe eine Fortsetzungserkrankung bestanden. In der Regel müssen sie den behandelnden Arzt hierzu auch von dessen Schweigepflicht entbinden.
  • Kann die Frage der Fortsetzungserkrankung trotzdem nicht abschließend geklärt werden, geht das zulasten des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber trägt am Ende also die Beweislast. Der Arbeitgeber profitiert von der Mitwirkungspflicht der Beschäftigten demnach nur dann, wenn die Aufklärung unter Hinzuziehung des behandelnden Arztes eine Fortsetzungserkrankung ergibt.

Nun zurück zu unserer Frage: Laufen Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten nicht in die Pflicht nehmen, um diese Aufklärung zu betreiben, Gefahr, Ausschlussfristen zu verpassen?

In seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 31.03.2021 (Az.: 5 AZR 197/20) hat das Bundesarbeitsgericht diese Frage mit Nein beantwortet. Nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts beginnt der Lauf von Ausschlussfristen in solchen Fällen grundsätzlich erst mit dem Zugang des Schreibens der Krankenkasse. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann es laut BAG dann geben, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von Umständen hat, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte für eine Fortsetzungserkrankung ergeben. 
 
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts war kein Selbstläufer. Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, war noch der Auffassung, dass der Arbeitgeber verpflichtet gewesen wäre, bei der Arbeitnehmerin nachzufragen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt.
 
Fortsetzungserkrankungen sind allerdings nur eine Fallgruppe, in der die Frage aufkommen kann.
Die andere Fallgruppe ist der sogenannte einheitliche Verhinderungsfall
Über den einheitlichen Verhinderungsfall und den wichtigen Unterschied zwischen einer Fortsetzungserkrankung und einem einheitlichen Verhinderungsfall hatten wir immer wieder, zuletzt in unserem Newsletter vom 08.04.2020, berichtet.

Der Unterschied zwischen einer Fortsetzungserkrankung und einem einheitlichen Verhinderungsfall besteht kurz gesagt darin, dass es beim einheitlichen Verhinderungsfall konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung mehr schuldet, weil ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Krankheitszeiträumen besteht.

Unseres Erachtens wirkt sich dieser Unterschied auch in Bezug auf die Einhaltung von Ausschlussfristen aus. Soll sagen: Arbeitgeber, die zahlen, obwohl Indizien für einen einheitlichen Verhinderungsfall vorliegen, sind selbst schuld. Bei ihnen läuft die Ausschlussfrist unseres Erachtens schon mit der Bezahlung und nicht erst mit der Mitteilung der Krankenkasse, auf die viele Arbeitgeber übrigens lange warten können, da viele Krankenkassen den einheitlichen Verhinderungsfall noch nicht kennen.
Das gilt natürlich erst recht in Fällen, in denen der einheitliche Verhinderungsfall nicht nur indiziert ist, sondern offensichtlich vorliegt. Offensichtlich ist der einheitliche Verhinderungsfall dann, wenn sich schon die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zeitlich überlappen oder nahtlos aneinander anschließen.

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