Skip to main content

Vorläufig gute Nachrichten für Arbeitgeber in puncto Arbeitszeiterfassung

Sie werden sich vielleicht noch an das bahnbrechende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus Mai 2019 erinnern, in dem der EuGH sagte:

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen eine gesetzliche Regelung schaffen, die Arbeitgeber verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Der EuGH begründete seine Entscheidung vor allem mit folgenden Argumenten:

  • Die Charta der Grundrechte der EU garantiere jedem Arbeitnehmer das Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten und dieses Grundrecht werde durch die Arbeitszeitrichtlinie präzisiert.
  • Es sei Aufgabe der Mitgliedsstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass den Arbeitnehmern diese Rechte auch tatsächlich zugutekommen. Ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen wird, könne die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, ihre zeitliche Verteilung und die Anzahl der geleisteten Überstunden aber nicht objektiv und verlässlich ermittelt werden. Infolgedessen könnten Arbeitnehmer ihre Rechte nur äußerst schwierig oder praktisch gar nicht durchsetzen.
  • Deswegen müssten die Mitgliedsstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

So weit so gut bzw. nicht gut. Denn der deutsche Gesetzgeber hat bisher keine Anstalten gemacht, ein diesen Anforderungen genügenden Gesetz auf den Weg zu bringen. Die Frage nach der Arbeitszeiterfassung ist für deutsche Arbeitgeber daher immer noch nicht geregelt.

Nichtsdestotrotz hatte das Urteil des EuGH schon Auswirkungen auf die deutsche Rechtsprechung. So hat das Arbeitsgericht Emden die Entscheidung des EuGH kurzerhand für unmittelbar anwendbar erklärt. In seinem ersten Urteil vom 20.02.2020 (Az.: 2 Ca 94/19) entschied das Gericht: Wenn ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Überstundenvergütung gerichtlich geltend mache, könne der Arbeitgeber dem nur dann entgegentreten, wenn er ein objektives, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem (wie es der EuGH fordert) eingerichtet habe. Zur Widerlegung von geltend gemachten Überstunden sei ein solches Zeiterfassungssystem also zwingend erforderlich.

In weiteren Urteilen vom 24.09.2020 (Az.: 2 Ca 144/20) und vom 09.11.2020 (Az.: 2 Ca 399/18) wiederholte das Arbeitsgericht Emden seine Auffassung.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen als Berufungsinstanz wurde daher von vielen schon mit Spannung erwartet.

Seit dem 06.05.2021 hat das Warten ein Ende. Denn an diesem Tag kippte das Landesarbeitsgericht Niedersachen die Auffassung der Emdener Arbeitsrichter.

Zwar liegt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachen bisher nur als Pressemitteilung vor. Schon die Pressemitteilung ist aber sehr aussagekräftig, denn danach gilt:

Das Urteil des EuGH hat keine Aussgekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Hinblick auf die Frage der Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden!

Das Landesarbeitsgericht Niedersachen begründet seine Entscheidung damit, dass der EuGH keine Kompetenz zur Entscheidung über Vergütungsfragen habe.

Damit gibt das Landesarbeitsgericht Niedersachsen den Arbeitgebern die starke Position zurück, die sie bislang in Überstundenprozessen hatten. Denn bislang scheiterten die meisten Überstundenprozesse ja daran, dass es den Arbeitnehmern nicht gelang, die Anordnung, Duldung oder Erforderlichkeit von Überstunden darzutun.

Arbeitgebern kann in Überstundenprozessen also doch kein Strick daraus gedreht werden, dass sie kein Zeiterfassungssystem installiert haben.

Noch dürfen wir uns allerdings nicht zu früh freuen. Das letzte Wort in dieser Frage ist noch nicht gesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es bleibt also spannend.

Wenn das Bundesarbeitsgericht der herrschenden Meinung folgt, sollte es die Entscheidung der niedersächsischen Landesarbeitsrichter aber bestätigen. Die Mehrheit geht nämlich bislang davon aus, dass die Entscheidung des EuGH keine durchschlagende Wirkung auf die Arbeitsverhältnisse hat.

Aber dennoch:
Der Gesetzgeber wird, wenn auch nicht mehr in dieser Legislaturperiode, vermutlich bald aktiv werden und das Arbeitszeitgesetz EuGH-konform anpassen.
Auch sieht man an den Entscheidungen des Arbeitsgerichts Emden, dass man sich auch vor der Gesetzesänderung nie ganz sicher sein kann.

Deshalb, und weil geeignete Zeiterfassungssysteme nicht mit links installiert werden können, sind Arbeitgeber sicher gut beraten, sich für geeignete Zeiterfassungssysteme zu interessieren und bestehende Zeiterfassungssysteme zu überprüfen.

  • Erstellt am .