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Neues zum Thema Kündigung von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern

Heute soll es um einige wichtige Aspekte der Kündigung von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern gehen.
Anfangen möchten wir mit der Frage, ob bzw. wann die Frage nach einer Schwerbehinderung zulässig ist. Weiter geht’s mit den Auswirkungen des neuen § 95 Abs. 2 SGB IX auf die Probezeitkündigung von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern. Und am Ende unseres heutigen Newsletters möchten wir Ihnen auch noch von einer interessanten Entscheidung zum Sonderkündigungsschutz von schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Arbeitnehmern nach Ablauf der Probezeit berichten.

1. Dürfen Sie vor oder bei Beginn des Arbeitsverhältnisses nach einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung fragen? Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 27.06.2017, Az: 20 Ca 22/17:

Seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) fragt sich die betriebliche Praxis immer wieder, ob man Arbeitnehmer nicht trotzdem schon bei Beginn des Arbeitsverhältnisses nach einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung fragen kann.

Das hinter dieser Frage stehende Dilemma ist Folgendes:
Zwar ist eine Behinderung ein Diskriminierungsmerkmal im Sinne von § 1 AGG. Andererseits haben Unternehmen aufgrund der Regelungen über die Ausgleichsabgabe (§ 77 SGB IX) ein „diskriminierungsfreies“ Interesse daran zu erfahren, ob ihr Bewerber schwerbehindert oder gleichgestellt ist.
Soll sagen: Aus Sicht der Unternehmen gibt es ein berechtigtes und diskriminierungsfreies Interesse an einer Antwort auf die Frage nach einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung.
In seiner Entscheidung vom 16.02.2012 (Az.: 6 AZR 553/10) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Frage nach der Schwerbehinderung/Gleichstellung jedenfalls nach 6 Monaten, also nach Inkrafttreten des Kündigungsschutzes, zulässig sei.
Daraus wurde vielfach geschlossen, dass Unternehmen vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes nicht nach einer Schwerbehinderung/Gleichstellung fragen dürfen.

So sieht es auch das Arbeitsgericht Hamburg in seinem Urteil vom 27.06.2017.
Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Hamburg ist die bei der Einstellung losgelöst von der geschuldeten Tätigkeit gestellte Frage nach einer Schwerbehinderung unzulässig.

Und, nicht nur das:
Stellen Sie die unzulässige Frage trotzdem, haben Sie laut Arbeitsgericht Hamburg ein Indiz für eine Diskriminierung nach dem AGG gesetzt! Wenn es Ihnen nicht gelingt, das Indiz zu entkräften, müssen Sie dem Bewerber/Arbeitnehmer also eine Entschädigung zahlen.

2. Probezeitkündigung von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern:

Wenn Sie einem schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmer während der erste 6 Monate des Arbeitsverhältnisses kündigen, brauchen Sie noch keine Zustimmung des Integrationsamtes. Das steht in § 90 Abs. 1 Nr. SGB IX.

Neuerdings müssen Sie außer dem Betriebsrat aber auch eine in Ihrem Betrieb vorhandene Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung anhören und der Schwerbehindertenvertretung Ihre nach der Anhörung getroffene Kündigungsentscheidung unverzüglich mitteilen; tun Sie das nicht, ist die Kündigung nach dem neuen § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam.

Angesichts der unter 1. besprochenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg liegt das Problem auf der Hand:

Da Sie Arbeitnehmer innerhalb der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses eigentlich nicht nach ihrer Schwerbehinderung oder Gleichstellung fragen dürfen, laufen Sie Gefahr, dass Ihre „Probezeitkündigung“ unwirksam ist, weil Sie nichts von der Behinderung wussten und die Schwerbehindertenvertretung daher auch nicht beteiligt haben. Da der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung drei Wochen plus Postlaufzeit Zeit hat, Ihnen seine Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung mitzuteilen, wird eine neue „Probezeitkündigung“ meistens nicht mehr rechtzeitig erfolgen können.

Was also tun?

Da § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX erst Anfang des Jahres Gesetz geworden ist, gibt es hierzu noch keine Rechtsprechung.

Die in der Literatur vertretenen Meinungen sind leider auch geteilt.

Vertreten wird derzeit Folgendes:

Meinung 1: Das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung besteht nur bei positiver Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung.

Meinung 2: Sie können den Arbeitnehmer im Falle einer „Probezeitkündigung“ auch schon innerhalb der ersten 6 Monate nach einer eventuellen Schwerbehinderung/Gleichstellung fragen, da Sie einen berechtigten Anlass haben.

Beide Meinungen sind allerdings sehr riskant.

Deshalb sollten Sie lieber auf Nummer sicher gehen. Insoweit haben Sie zwei Möglichkeiten:

Möglichkeit 1: Sie beteiligen neben dem Betriebsrat immer auch die Schwerbehindertenvertretung, und zwar vorsorglich, nämlich für den Fall, dass der Mitarbeiter schwerbehindert bzw. gleichgestellt ist.

Möglichkeit 2: Sie kündigen schon mindestens 5 Wochen vor Ablauf der 6 Monate. Wenn der Arbeitnehmer Ihnen dann innerhalb von drei Wochen plus Postlaufzeit mitteilt, dass er schwerbehindert oder gleichgestellt ist, hätten Sie immer noch genügend Zeit, unter Beteiligung von Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung eine erneute Kündigung auszusprechen, bevor die 6 Monate vorbei sind.

3. Was bedeutet der Kündigungsschutz von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern? - Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2017, Az: 12 Sa 939/16:

Sind die 6 Monate des Arbeitsverhältnisses rum, ist die Kündigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers gleich doppelt schwer:
Zum einen brauchen Sie für die Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes und dem vorgeschaltet grundsätzlich ein Präventionsverfahren (§ 84 Abs. 1 SGB IX) und bei krankheitsbedingten Kündigungen zudem ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (§ 84 Abs. 2 SGB IX).

Zum anderen werden die ohnehin schon strengen Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes dann noch durch § 81 Abs. 4 SGB IX flankiert. Aus dieser Vorschrift bzw. aus § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX kann sich nämlich ein Anspruch des schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers auf anderweitige Beschäftigung ergeben, wenn er seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht mehr ausüben kann.

Zu den Konsequenzen dieser Vorschrift hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 10.05.2017 folgende teils alte und teils neue Feststellungen getroffen:

  • Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten (siehe auch Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.11.2014, Az: 2 AZR 664/13).
  • Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, einen anderen Arbeitsplatz frei zu kündigen, wenn der Arbeitnehmer, der den anderen Arbeitsplatz einnimmt, allgemeinen Kündigungsschutz hat, sprich schon länger als 6 Monate für den Arbeitgeber tätig ist (siehe auch Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.11.2014, Az: 2 AZR 664/13).
    Ebenso wenig ist der Arbeitgeber gehalten, anderweitige Arbeitsplätze in Betracht zu ziehen, bei denen das Integrationsamt bereits zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sie nicht in Betracht kommen. Der Arbeitgeber ist lediglich verpflichtet, per Direktionsrecht einen eventuellen Arbeitsplatzwechsel vorzunehmen; das setzt aber voraus, dass er den Arbeitnehmer auf dem anderen Arbeitsplatz auch auf die Position des schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers versetzen kann.
  • Es gibt laut dem Arbeitsgericht Düsseldorf außerdem keine Pflicht des Arbeitgebers, Überstunden, die auf anderen (behindertengerechten) Arbeitsplätzen anfallen, zusammen zu legen, um daraus einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen. Dies gilt jedenfalls bei einem unterschiedlichen Umfang von Überstunden. Ob eine dementsprechende Verpflichtung bei einem gleichmäßigen Anfall von Überstunden besteht, lässt das Landesarbeitsgericht Düsseldorf offen.
  • Schließlich kann der Arbeitgeber nach dem Spruch aus Düsseldorf nicht gezwungen werden, einen neuen Arbeitsplatz dadurch zu schaffen, dass andere Arbeitsplätze so verändert werden, dass einzelne Tätigkeiten auf den anderen Arbeitsplätzen frei gemacht werden, um aus ihnen einen neuen freien Arbeitsplatz zu machen.

Wenn Sie Fragen hierzu haben, melden Sie sich bitte.

Bettina Steinberg       Dr. Mona Geringhoff      Lydia Voß

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