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Achtung! AGG-Fallen/ Rechtsprechungsänderung

Gerade wurde ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) veröffentlicht, das Sie unbedingt kennen sollten.

Das Urteil ist vom 19. Mai 2016 und trägt das Aktenzeichen: 8 AZR 470/14.

In der Entscheidung geht es um folgende Fragen:

  • Setzen Sie ein Indiz für eine Altersdiskriminierung, wenn Sie Arbeitnehmer für ein junges, dynamisches Team suchen?
  • Können Bewerber, die Ihr Anforderungsprofil nicht erfüllen, überhaupt diskriminiert werden?
  • Und wie sieht es mit der Möglichkeit einer Diskriminierung dann aus, wenn derjenige, der sich diskriminiert fühlt, permanente Bewerbungen auf diskriminierende Stellenanzeigen schreibt und deren Verfasser ebenso kontinuierlich auf Entschädigung in Anspruch nimmt?

Die Antworten, die das Bundesarbeitsgericht auf diese Fragen gegeben hat, werden das AGG-Hopping leider beflügeln. AGG-Hoppern kann durch diese Entscheidung nur dadurch der Garaus gemacht werden, dass Stellenanzeigen in Zukunft noch sehr viel sorgfältiger als bisher formuliert werden.

Warum das so ist, möchten wir im folgenden Punkt für Punkt mit Ihnen durchgehen:

  1. Ist die Werbung in einer Stellenanzeige mit einem "jungen und dynamischen" Team ein Indiz für Diskriminierung wegen des Alters?

    Bislang wurde diese Frage sehr unterschiedlich beantwortet. Etliche Stimmen haben in der Aussage „jung und dynamisch“ kein Indiz für eine Altersdiskriminierung gesehen, wenn sich die Aussage auf das Team oder das Unternehmen bezog. Begründung: „Jung und dynamisch“ beschreibe lediglich das Team, das Verstärkung sucht; dagegen bedeute „jung und dynamisch“ nicht, dass auch der Bewerber jung und dynamisch sein müsse.

    Das Bundesarbeitsgericht sieht das anders! Seiner Meinung nach bedeutet die Suche nach einem Mitarbeiter für ein junges und dynamisches Team, dass auch der gesuchte Mitarbeiter jung und dynamisch sein müsse.

    Aber nicht nur Adjektive wie jung und dynamisch sind nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ein Problem. Ein Indiz für eine zumindest mittelbare Altersdiskriminierung sieht das Bundesarbeitsgericht auch in Stellenanzeigen, in denen Arbeitnehmer mit keiner oder nur kurzer Berufserfahrung gesucht werden.

    Tipp: Verkneifen Sie sich in Ihren Stellenanzeigen alles, was darauf hindeuten könnte, dass der Bewerber einer bestimmten Altersgruppe angehören sollte.
  2. Können Bewerber, die das ausgeschriebene Anforderungsprofil nicht erfüllen, überhaupt diskriminiert werden?

    Bisher war das Bundesarbeitsgericht platt gesprochen folgender Meinung:

    Wer nicht in das Anforderungsprofil passt, kann auch nicht benachteiligt werden!

    Fleißige Leser unserer Newsletter wissen, dass das Bundesarbeitsgericht bereits seit Ende letzten Jahres starke Selbstzweifel plagten, ob diese Rechtsprechung aufrechterhalten werden kann. Diese Selbstzweifel äußerte das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 22. Oktober 2015, über das wir bereits in unserem Newsletter vom 27.04.2016 berichtet hatten.

    Nun hat das Bundesarbeitsgericht diesen Selbstzweifeln Taten folgen lassen und entschieden:

    Bewerber können auch dann diskriminiert werden, wenn sie nicht ins Anforderungsprofil passen.

    Die alte Rechtsprechung gilt nicht mehr. Sie wurde ausdrücklich vom Bundesarbeitsgericht ad acta gelegt.

    Das bedeutet:
    Werden in einer Stellenanzeige Bewerber wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale diskriminiert, haben diese Bewerber in Zukunft selbst dann Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, wenn sie nicht ins Anforderungsprofil passen.
  3. Setzt der Schutz des AGG voraus, dass der Bewerber seine Bewerbung ernst meint?

    Bisher war das Bundesarbeitsgericht der Meinung, dass nur Bewerber den Schutz des AGG genießen, wenn ihre Bewerbung ernsthaft sei; im Fachjargon nannte man das die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung.

    Auch damit ist jetzt Schluss. Auch subjektiv nicht ernst gemeinte Bewerbungen werden daher grundsätzlich vom AGG geschützt.

    Solchen Entschädigungsklagen kommt man laut Bundesarbeitsgericht jetzt nur noch über den Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) bei. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist allerdings der beste Beleg dafür, dass alles, was stark nach Rechtsmissbrauch riecht, noch lange kein Rechtsmissbrauch sein muss.
    In besagter Entscheidung reichte es dem Bundesarbeitsgericht für einen Rechtsmissbrauch nämlich nicht, dass ein rund 60 jähriger und seit vielen Jahren als selbstständiger Rechtsanwalt tätiger Kläger sich permanent auf diskriminierende Stellenanzeigen bewarb und permanent Entschädigungsklagen nach dem AGG erhob. Toll!


Viele Gründe also, Stellenanzeigen immer AGG-neutral zu fassen!


Bettina Steinberg        Dr. Mona Geringhoff        Lydia Voß

  • Erstellt am .