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Die neue Urlaubsrechtsprechung des BAG nimmt weitere Formen an

Über die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Folgen der Nichterfüllung der Initiativlast von Arbeitgebern beim Urlaub hatten wir fortlaufend berichtet.
Daher wissen Sie bereits, dass, wenn Sie als Arbeitgeber Ihrer Initiativlast nicht nachgekommen sind,

  • Urlaubsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis nicht innerhalb der 3-jährigen Verjährungsfrist verjähren,
  • die Abgeltung noch bestehender Urlaubsansprüche im beendeten Arbeitsverhältnis zwar verjähren und aufgrund tarif-/ arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen auch verfallen kann, Beschäftigte aber bis zum 06.11.2018 Vertrauensschutz hatten (vgl. unseren Newsletter vom 13.03.2023),
  • Urlaubsansprüche langzeiterkrankter Beschäftigter per 31.03. des übernächsten Jahres auch ohne Initiativlast verfallen, wenn Beschäftigte das gesamte Kalenderjahr krank waren und
  • Urlaubsansprüche langzeiterkrankter Beschäftigter in dem Jahr, in dem die Langzeiterkrankung erstmals eintritt, aber grundsätzlich nicht ohne Initiativlast verfallen. 

Nun sind diverse Urteile des Bundesarbeitsgerichts zu diesem Themenkomplex im Volltext veröffentlicht worden.

Heute soll es daher darum gehen, welche neuen Erkenntnisse sich aus den Volltexten ergeben.

Und das sind im Wesentlichen zwei Dinge, die sich alle Personalverantwortlichen merken sollten:

Erste wichtige Erkenntnis:
Beim gesetzlichen Mindesturlaub gibt es für Arbeitgeber kein Entkommen, wenn sie ihrer Initiativlast nicht genügt haben.
Bezogen auf den (tarif-)vertraglichen Mehrurlaub können abweichende Regelungen getroffen werden. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.12.2022 (Az.: 9 AZR 401/19) setzt das allerdings voraus, dass es deutliche Anhaltspunkte im Arbeits-/Tarifvertrag dafür gibt, dass der Mehrurlaub auch ohne Erfüllung der Initiativlast verfallen soll.
Nicht tarifgebundene Arbeitgeber, die auf Nummer sicher gehen möchten, sollten daher im Arbeitsvertrag Folgendes tun:

Sie sollten im Arbeitsvertrag
a) ausdrücklich zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Mehrurlaub unterscheiden,
b) die gewünschten Einschränkungen beim vertraglichen Mehrurlaub ausdrücklich beschreiben und
c) im Rahmen dieser Einschränkungen u. a. beispielsweise formulieren:
„Vertraglicher Mehrurlaub, der aus dringenden betrieblichen oder in der Person der/des Beschäftigten liegenden Gründen nicht bis zum 31.12. genommen wurde, kann maximal bis zum 31.03. des Folgejahres in Anspruch genommen werden; danach verfällt der vertragliche Mehrurlaub einschränkungslos und auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seiner Initiativlast genügt, d. h. die/den Beschäftigten zur Inanspruchnahme des Urlaubs aufgefordert hat.“
 
Bei tarifgebundenen Arbeitgebern müssen die tariflichen Urlaubsregelungen darauf untersucht werden, ob es deutliche Anhaltspunkte für einen Verfall des tariflichen Mehrurlaubs auch ohne Erfüllung der Initiativlast gibt.
 
Zweite wichtige Erkenntnis:
Tritt eine Langzeiterkrankung im laufenden Kalender- bzw. Urlaubsjahr ein, nimmt das Bundesarbeitsgericht Arbeitgeber in seinem Urteil vom 31.01.2023 (Az.: 9 AZR 107/20) zumindest dann in Schutz, wenn die Langzeiterkrankung am Anfang eines Jahres eintritt.
Das Bundesarbeitsgericht nimmt nämlich zwei wichtige Einschränkungen zugunsten der Arbeitgeber vor:

  • Erste Einschränkung: Auch ohne Erfüllung der Initiativlast verfallen die Urlaubstage bis zum 31.03. des übernächsten Jahres, die bis zum Eintritt der Erkrankung sowieso nicht mehr genommen werden konnten.
  • Zweite Einschränkung: Arbeitgebern ist mit Beginn des neuen Kalender- bzw. Urlaubsjahres eine Karenzzeit von 6 Werktagen (in Anlehnung an § 3 des Bundesurlaubsgesetzes) für die Aufforderung zur Inanspruchnahme der noch bestehenden Urlaubsansprüche (= Initiativlast) zuzubilligen. Liegen besondere Voraussetzungen vor, kann die dem Arbeitgeber zuzubilligende Frist auch länger als 6 Werktage sein. Hier nennt das Bundesarbeitsgericht beispielsweise Betriebsferien, die über den Jahreswechsel hinausgehen.
    Durch die den Arbeitgebern zugebilligte Frist von 6 Werktagen verkürzt sich der Zeitraum, in dem Urlaub bis zum Eintritt der Erkrankung hätte realisiert werden können, weiter.
    Um das Ganze anschaulicher für Sie zu machen, hier ein Beispiel:
    Anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall, in dem es um Urlaub aus 2016 ging, haben wir das Beispiel bewusst ins Jahr 2023 verschoben. Unser Beispiel handelt von Arbeitnehmer A, der in NRW arbeitet und einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen hat.
    Arbeitnehmer A erkrankt am 16.01.2023 für lange Zeit. Eine Aufforderung, den 2023er Urlaub in Anspruch zu nehmen, gab es nicht.
    Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht die Rechnung jetzt so:
    Der Arbeitgeber von Arbeitnehmer A hatte 6 Werktage (also vom 02.01. bis zum 07.01.2023, da in NRW am 06.01. kein Feiertag ist) Zeit, seiner Initiativlast nachzukommen. Umstände wie z. B. Betriebsurlaub, die zur Verlängerung der 6-Tages-Frist geführt hätten, gibt es nicht. Hätte der Arbeitgeber die Initiativlast bis zum Ablauf der 6-Tages-Frist erfüllt, hätte Arbeitnehmer A, der in einer 5-Tage-Woche arbeitet, noch 5 Urlaubstage in Anspruch nehmen können, nämlich in der Zeit vom 09.01. bis zum 13.01.
    Die anderen 25 Tage hätte er nicht mehr nehmen können, da er ab dem 16.01. krank war.
    Wenn Arbeitnehmer A bis zum 31.03.2025 krank bleibt, wären danach 25 Tage Urlaubstage aus 2023, dem ersten Krankheitsjahr verfallen, obwohl der Arbeitgeber seine Initiativlast nicht erfüllt hat. 

Was lernen wir daraus?
Beschäftigte, die im Januar des Jahres erkranken, werden nach dieser Rechtsprechung selbst dann keinen vollen Urlaubsanspruch mehr geltend machen können, wenn der Arbeitgeber seine Initiativlast nicht erfüllt hat, vorausgesetzt, dass sie bis zum 31.03. des übernächsten Jahres krank bleiben.
 
Wir lernen daraus aber auch, dass Arbeitgeber so oder so gut beraten sind, wenn sie ihre Initiativlast schon innerhalb der ersten 6 Werktage des Jahres erfüllen, wobei es für die Fristberechnung auf den Zugang der Aufforderung zur Inanspruchnahme der genau bezifferten Urlaubstage ankommt. Denn dann steht einem Verfall der Urlaubsansprüche für das betreffende Urlaubsjahr nichts mehr entgegen, auch dann nicht, wenn die Beschäftigten erst im weiteren Verlauf des Jahres langzeiterkranken.

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