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BAG neu: Mitwirkungspflicht von Beschäftigten bei Fortsetzungserkrankungen

In seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 18.01.2023, (Az.: 5 AZR 93/22) hat das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Darlegungslast von Beschäftigten bei einer Fortsetzungserkrankung mit interessanten Erkenntnissen für die betriebliche Praxis weiter präzisiert.
 
Bevor wir zum Kern der Entscheidung kommen, möchten wir noch einmal kurz erklären, wann man von einer Fortsetzungserkrankung spricht:

Führt dieselbe Krankheit zu mehreren Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, so sind diese Zeiten zu addieren. Um dieselbe Krankheit handelt es sich auch dann, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf demselben Grundleiden (z. B. einer Immunerkrankung) beruht.
 
Entgeltfortzahlung erhalten Beschäftigte dann für insgesamt höchstens 42 Kalendertage (= 6 Wochen), soweit kein Sonderfall des § 3 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes vorliegt.

Nach § 3 Absatz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz können Beschäftigte bei Vorliegen derselben Krankheit ausnahmsweise für einen weiteren Zeitraum vom bis zu 6 Wochen Entgeltfortzahlung verlangen,

  • wenn zwischen dem Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der zweiten Arbeitsunfähigkeit mindestens 6 Monate liegen oder
  • wenn seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von 12 Monaten abgelaufen ist.

Das ist Allgemeinwissen.
 
Nun zu der spannenden Frage, wie Arbeitgeber feststellen können, ob sie aufgrund einer Fortsetzungserkrankung von der Entgeltfortzahlungspflicht befreit sind, weil sie für dieselbe Krankheit im oben genannten Sinne schon für 6 Wochen bzw. 42 Kalendertage geleistet haben.
 
Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits vor dem heute besprochenen Urteil entschieden, dass die Beschäftigten bei der Frage „Fortsetzungserkrankung ja oder nein“ eine Mitwirkungspflicht haben.
 
Diese Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 18.01.2023 (Az.: 5 AZR 93/22) noch einmal zugunsten der Arbeitgeber präzisiert.
Die Schlussfolgerungen, die sich aus der bisherigen und der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ergeben, möchten wir gerne folgendermaßen für Sie zusammenfassen:

  • Sind Beschäftigte innerhalb der nach § 3 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes maßgeblichen Zeiträume länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt, müssen sie darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Das kann z. B. durch eine ärztliche Bescheinigung geschehen.

  • Zum Thema ärztliche Bescheinigung sagt das Bundesarbeitsgericht in seiner aktuellen Entscheidung:
    „Eine erneute Erstbescheinigung, die von einem anderen Arzt ausgestellt ist, hat per se keinen Aussagewert im Hinblick auf das mögliche Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung.“

  • Bestreitet der Arbeitgeber eine neue (= andere) Erkrankung trotz der als Erstbescheinigung ausgestellten Arbeitsunfähigkeit (z. B. weil die Papier-AU von einem neuen Arzt ausgestellt wurde, die neue eAU keinen Hinweis mehr auf den ausstellenden Arzt enthält oder aus anderen Gründen) müssen die Beschäftigten Tatsachen vortragen, die den Schluss erlauben, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht.

    Zu den Anforderungen an das, was die Beschäftigten jetzt tun müssen, sagt das Bundesarbeitsgericht in seinem aktuellen Urteil vom 18.01.2023, (Az.: 5 AZR 93/22):

    „Er (also der Beschäftigte) muss laienhaft bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden.“

  • Das Bundesarbeitsgericht stellt in seinem aktuellen Urteil auch fest:

    „Beschäftigte können diese Auskünfte nicht mit Blick auf den Datenschutz verweigern, und zwar auch nicht mit Blick auf die Krankenkasse, die Arbeitgebern ja auch Auskunft über das Bestehen einer Fortsetzungs- oder Ersterkrankung erteilen muss.“

  • Vielmehr sagt das Bundesarbeitsgericht in seinem aktuellen Urteil:

    Die Mitteilung der Krankenkassen bindet weder den Arbeitgeber noch die Arbeitsgerichte!
    Die Regelung zur Mitteilungspflicht der Krankenkasse wurde vielmehr nur im Interesse des Arbeitgebers geschaffen, damit er schnell das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung feststellen kann. Die Mitteilungspflicht der Krankenkassen hat aber keinen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert.

    ▶ Arbeitgeber müssen sich in Zukunft also nicht mit der Auskunft der Krankenkasse über das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung begnügen!

Das sind doch gute Nachrichten!
 
Ergänzend möchten wir zum Thema Fortsetzungserkrankung noch auf unseren Newsletter vom 10.08.2021 verweisen, in dem es um die vom Bundesarbeitsgericht in seinem früheren Urteil vom 31.03.2021 (Az.: 5 AZR 197/20) mit Nein beantwortete Frage ging: Laufen Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten nicht in die gerade beschriebene Mitwirkungspflicht nehmen, Gefahr, Ausschlussfristen zu verpassen?
 
Zu guter Letzt noch ein paar Worte zum sogenannten einheitlichen Verhinderungsfall, der etwas anderes als eine Fortsetzungserkrankung ist.
 
Was ist ein einheitlicher Verhinderungsfall?
Auch unterschiedliche Krankheiten können nur einmal einen Entgeltfortzahlungsanspruch von 6 Wochen auslösen, wenn die Erkrankungen gleichzeitig auftreten oder sich die Krankheitszeiträume überlappen. Das nennt man den einheitlichen Verhinderungsfall.
 
Oft sind einheitliche Verhinderungsfälle aber nicht ganz so offensichtlich. Wir denken nur an die Praxis vieler Ärzte, Beschäftigte immer nur bis zum letzten Arbeitstag der Woche (in der Regel ein Freitag) krankzuschreiben, mit der Folge, dass die nächste Ersterkrankung erst am kommenden Montag festgestellt wird.
 
Das Gute aber ist: Nach der Rechtsprechung des BAG zum einheitlichen Verhinderungsfall, über die wir z. B. in unserem Newsletter vom 08.04.2020 berichtet hatten, sind gerade diese Konstellationen ein gewichtiges Indiz für einen einheitlichen Verhinderungsfall.
Und bei einer solchen Indizienlage ist es dann Sache der Beschäftigten, den einheitlichen Verhinderungsfall zu entkräften. Entkräften heißt, dass Beschäftigte für ihre gegenteilige Behauptung, es läge kein einheitlicher Verhinderungsfall vor, den vollen Beweis erbringen müssen. Können sie das nicht, oder geht die Befragung des Arztes aus wie das Hornberger Schießen, geht das zu Lasten der Beschäftigten.
 
Das ist im Übrigen auch ein wichtiger Unterschied zwischen dem einheitlichen Verhinderungsfall und der Fortsetzungserkrankung. Bei der Fortsetzungserkrankung bleibt die Beweislast nämlich beim Arbeitgeber. Oder anders gesagt: Lässt sich auch nach eingehender Auskunft oder Befragung des Arztes nicht aufklären, ob eine Fortsetzungserkrankung oder eine neue Erkrankung vorliegt, geht das zu Lasten des Arbeitgebers.

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