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Aktuelles vom BAG zum Thema Annahmeverzug

In unseren Newslettern vom 01.09.2020, 31.03.2022 und 23.06.2022 hatten wir bereits über die neue und arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung zum Thema Annahmeverzugslohnrisiko berichtet.
 
Diese neue Rechtsprechung ist deshalb so wichtig, weil sich hierdurch das Annahmeverzugslohnrisiko reduzieren lässt. Und das Annahmeverzugslohnrisiko ist und bleibt nun mal das größte wirtschaftliche Risiko von Arbeitgebern in Kündigungsschutzverfahren, deren Ausgang ungewiss ist.
 
Klar ist seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 27.05.2020, (Az.: 5 AZR 387/19), über das wir in unserem Newsletter vom 01.09.2020 berichtet hatten, Folgendes:
 
Gekündigte Beschäftigte müssen auf Verlangen des Arbeitgebers über ihre Arbeitslosmeldung sowie die ihnen von der Agentur für Arbeit übermittelten Jobangebote Auskunft erteilen. Hierbei müssen Beschäftigte auch die angebotene Tätigkeit, die Arbeitszeit, den Arbeitsort und die Vergütung des übermittelten Jobangebots mitteilen.

▶ Erteilen Beschäftigte die verlangte Auskunft nicht oder nicht vollständig, dürfen Arbeitgeber die Gehaltszahlung für den Annahmeverzugszeitraum (bei einer unwirksamen Kündigung ist das der Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist) verweigern, und zwar so lange, bis die Auskunft erteilt ist.

▶ Wird die Auskunft erteilt, müssen Arbeitgeber bewerten, ob es der:dem Beschäftigten zuzumuten gewesen wäre, den Stellenangeboten nachzugehen.
Wie weit diese Zumutbarkeit reicht, hat das Landesarbeitsgericht Köln in dem von uns zugunsten eines Unternehmens erstrittenen Urteil vom 16.02.2022, (Az.: 11 Sa 524/21) folgendermaßen zusammengefasst:

  • Zumutbar können auch Arbeitsangebote sein, die (gemessen am Arbeitsvertrag mit dem bisherigen Arbeitgeber) nicht vertragsgemäß sind, vgl. hierzu BAG, Urteil vom 19.01.2022, (Az.: 5 AZR 346/21).
  • Auch die Fortsetzung derselben Arbeit zu geringerer Vergütung ist nicht von vornherein unzumutbar, vgl. BAG, Urteil vom 16.06.2004, (Az.: 5 AZR 508/03)
  • Selbst die Aufnahme einer selbständigen, nicht auf einem Dauerschuldverhältnis beruhenden Erwerbstätigkeit kann zumutbar sein, vgl. BAG, Urteil vom 25.10.2007, (Az.: 6 AZR 662/06)
  • Beschäftigte dürfen nicht auf ein in jedem Falle zumutbares Angebot warten.
    Sie dürfen nicht untätig bleiben, wenn sich ihnen eine realistische Arbeitsmöglichkeit bietet. Das kann sogar die Abgabe von eigenen Angeboten mit einschließen, vgl. BAG, Urteil vom 22.03.2017, (Az.: 5 AZR 337/16).

Ergibt die Prüfung, dass Beschäftigte zumutbare Arbeitsangebote abgelehnt oder aber verhindert haben, dass sie Angebote erhalten, müssen sie sich das, was sie hätten verdienen können, auf die Annahmeverzugsvergütung anrechnen lassen. Das ergibt sich aus § 11 Satz 1 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz.

Die Vorschrift besagt:
Beschäftigte müssen sich auf das Arbeitsentgelt, das ihnen der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, dasjenige anrechnen lassen, das sie hätten verdienen können, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine ihnen zumutbare Arbeit anzunehmen.
 
Zwischenfazit: Beschäftigte dürfen nach Ausspruch einer Kündigung ihre Hände nicht in den Schoß legen. Und das Bundesarbeitsgericht hat Arbeitgebern durch das Recht auf Auskunft jetzt auch ein Instrument an die Hand gegeben, das zu überprüfen!
 
Aber was ist, wenn Beschäftigte sich gar nicht erst arbeitslos melden, es demensprechend keine Jobangebote der Agentur für Arbeit gibt und auch der Arbeitgeber keine zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten bei sich oder Dritten anbietet?
 
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte einem Arbeitnehmer allein daraus, dass er sich nicht arbeitslos gemeldet hatte, einen Strick gedreht. Da die niedersächsischen Landesarbeitsrichter sich unsicher waren, wie das Bundesarbeitsgericht diesen Fall im Lichte seiner neuen Rechtsprechung bewertet, haben sie die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Wir hatten hierüber in unserem Newsletter vom 31.03.2022 berichtet
 
Und das Bundesarbeitsgericht hat in seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 12.10.2022, (Az.: 5 AZR 30/22) geurteilt:

  • Beschäftigte, die sich bei der Agentur für Arbeit nicht arbeitssuchend melden, handeln grundsätzlich vorwerfbar im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes.
  • Maßgebend sind aber trotzdem alle Umstände des einzelnen Falles. Und diese Einzelfallumstände hat die Vorinstanz nicht ausreichend berücksichtigt.
    Da der Kläger in leitender Position tätig war, hatte er für adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten von vorneherein weniger auf die Agentur für Arbeit als vielmehr auf eigene Bemühungen (insbesondere über Headhunter) gesetzt.
    Diese eigenen Bemühungen durfte das Landesarbeitsgericht Niedersachen laut Bundesarbeitsgericht nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Es hätte sie weiter aufklären müssen.
  • Interessant ist außerdem, dass das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitgeber im Rahmen der Einzelfallumstände auch anlasten möchte, dass er den Kläger nicht auf seine Pflicht, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, hingewiesen hatte.
  • Zwar wissen viele Arbeitgeber, dass diese Hinweispflicht nicht obligatorisch ist. Wie das jetzige Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt, kann der Hinweispflicht aber im Rahmen des Streits über Annahmeverzugslohnansprüche wegen unterlassener Arbeitslosmeldung Bedeutung zukommen.
    Allen Arbeitgebern kann daher nur geraten werden, den Hinweis auf die Pflicht zur rechtzeitigen Arbeitslosmeldung standardmäßig in ihre Kündigungsschreiben aufzunehmen.

Das Bundesarbeitsgericht hat den Fall daher an die Vorinstanz zurückverwiesen, damit die bisher unterlassene Beurteilung aller Umstände des Einzelfalls nachgeholt werden kann.
Sollte das Landesarbeitsgericht hierbei erneut zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger böswillig handelte, soll es außerdem prüfen, ob die Agentur für Arbeit dem Kläger, hätte er sich arbeitssuchend gemeldet, überhaupt zumutbare Vermittlungsangebote unterbreitet hätte. Insoweit, und auch das ist eine wichtige Erkenntnis aus der Entscheidung, ist es Sache des Arbeitgebers hierzu vorzutragen.
 
Infolgedessen tun Arbeitgeber gut daran, sich in Bezug auf gekündigte Beschäftigte selbst über geeignete Jobangebote informiert zu halten. Und zwar laufend. Denn im Nachhinein ist das natürlich schwierig.
 
Das ist aber nur ein neues Urteil zum Thema Annahmeverzugslohn, dass das Bundesarbeitsgericht gefällt hat.
 
Ein weiteres betrifft Jobangebote des eigenen Arbeitgebers gegenüber fristlos Gekündigten.
Hier hat das Bundesarbeitsgericht in seinem bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden Urteil vom 29.03.2023, (Az.: 5 AZR 255/22) entschieden:
 
Fristlos gekündigten Beschäftigten ist es grundsätzlich nicht zuzumuten, zur Reduzierung des Annahmeverzugslohnrisikos bei dem Arbeitgeber weiterzuarbeiten, der ihnen fristlos gekündigt hat.
 
Ergänzende Anmerkung: Ohnehin sollten Arbeitgeber bei fristlosen Kündigungen immer sehr vorsichtig mit Weiterbeschäftigungsangeboten sein. Denn eine fristlose Kündigung ist bekanntlich u. a. nur dann gerechtfertigt, wenn es dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist, die gekündigte Person auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.
Mit Weiterbeschäftigungsangeboten können Arbeitgeber sich daher auch den fristlosen Kündigungsgrund zerschießen.

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