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BAG neu: Beschäftigte müssen weitere Einschränkungen beim Annahmeverzugslohn hinnehmen

Über die für Arbeitgeber erfreuliche Trendwende beim Annahmeverzugslohn, der bei unwirksamen Kündigungen ein großes wirtschaftliches Risiko ist, hatten wir bereits in unseren Newslettern vom 01.09.2020 und 31.03.2022 berichtet.
 
Quintessenz dieser neuen Rechtsprechung ist:
Beschäftigte, die sich bei der Agentur für Arbeit nicht arbeitssuchend melden und/oder den Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit nicht nachgehen, handeln böswillig im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes und bekommen trotz unwirksamer Kündigung nach Ablauf der Kündigungsfrist kein Geld vom Arbeitgeber. Außerdem hat das Bundesarbeitsgericht den Arbeitgebern einen Auskunftsanspruch über eventuelle Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit zugebilligt.

In dem gerade veröffentlichten Urteil vom 19.01.2022 (Az.: 5 AZR 346/21) hat das Bundesarbeitsgericht den Beschäftigten weitere Hürden bei der Geltendmachung von Annahmeverzugslohn auferlegt.
Da der Annahmeverzugslohn für Arbeitgeber wie schon gesagt ein großes wirtschaftliches Risiko wegen des oft unberechenbaren Ausgangs des Kündigungsschutzverfahrens ist, ist auch diese Entscheidung enorm praxisrelevant.
 
Fangen wir mit den Grundsätzen an:
§ 11 Satz 1 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes sagt: Beschäftigte müssen sich auf das Entgelt, das der Arbeitgeber ihnen nach Ablauf der Kündigungsfrist schuldet, den (fiktiven) Verdienst anrechnen lassen, den sie erreicht hätten, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine ihnen zumutbare Arbeit anzunehmen.
 
Böswillig handeln Beschäftigte, wenn sie trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleiben und eine ihnen zumutbare anderweitige Beschäftigung nicht aufnehmen oder bewusst verhindern.
 
Die Musik bei der heute besprochenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.01.2022 (Az.: 5 AZR 346/21) spielt bei den anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten, die der Arbeitgeber selbst unterbreitet.
 
Paradebeispiel hierfür ist die Änderungskündigung.
Nach dem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts kann eine Änderungskündigung das Annahmeverzugslohnrisiko nämlich per se reduzieren, und zwar selbst dann, wenn die Änderungskündigung sozialwidrig ist!
 
Wörtlich sagt das Bundesarbeitsgericht:
 
„Lehnt der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Änderungskündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen ab, kann hierin ein böswilliges Unterlassen liegen. Die Sozialwidrigkeit der Kündigung hat nicht zwingend die Unzumutbarkeit der Weiterarbeit zu geänderten Bedingungen zur Folge (…).“
 
Eine Selbstverständlichkeit ist diese Aussage des Bundesarbeitsgerichts nicht. Denn nach § 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes haben Beschäftigte ja ein Wahlrecht, ob sie das in einer Änderungskündigung liegende Angebot annehmen oder aber nicht.
 
Dieses Wahlrecht – und das ist die wichtige Botschaft des Bundesarbeitsgerichts – wird durch die den Beschäftigten nach § 11 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes auferlegten Pflichten aber faktisch eingeschränkt.
Soll sagen: Es ist das gute Recht einer/s Beschäftigten, ein Änderungsangebot abzulehnen und die Änderungskündigung auf den gerichtlichen Prüfstand zu stellen.
Das ändert aber nichts daran, dass die/der Beschäftigte gemäß § 11 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes (also zur Reduzierung des Annahmeverzugslohnrisikos) verpflichtet sein kann, dem Änderungsangebot nach Ablauf der Kündigungsfrist trotzdem erstmal nachzukommen.
 
Ob eine solche Verpflichtung besteht, hängt nach § 11 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes von der Zumutbarkeit der anderweitigen Beschäftigung ab.
 
Dass die anderweitige Beschäftigung nicht vertragsgemäß ist (sonst hätte der Arbeitgeber ja auch keine Änderungskündigung aussprechen müssen), steht der Zumutbarkeit nicht entgegen.
 
Die Zumutbarkeit beurteilt sich also nach anderen Kriterien, nämlich dem Grundsatz von Treu und Glauben, bei dem das Grundrecht der Beschäftigten auf freie Arbeitsplatzwahl zu berücksichtigen ist.
 
Da das sehr abstrakt ist, möchten wir das gerne etwas konkreter machen:

  • Bietet der Arbeitgeber der/dem Beschäftigten per Änderungskündigung eine gleichwertige (aber nicht von seinem Direktionsrecht gedeckte) Tätigkeit am gleichen Arbeitsort an, wird das in der Regel zumutbar sein.

  • Bietet der Arbeitgeber der/dem Beschäftigten per Änderungskündigung eine geringerwertige Beschäftigung an, ist das nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.01.2022 jedenfalls dann zumutbar, wenn die/der Beschäftigte sich ausdrücklich auf diese Beschäftigung berufen hat.
    Paradebeispiel hierfür sind betriebsbedingte Beendigungskündigungen, gegen die Beschäftigte einwenden, dass es einen gleich- oder geringerwertigen freien Arbeitsplatz gibt, den man ihnen per Änderungskündigung hätte anbieten müssen, anstatt eine Beendigungskündigung auszusprechen. Wenn der von der/dem Beschäftigten eingewandte gleich- oder geringerwertige Arbeitsplatz auch schon bei Ausspruch der Kündigung (absehbar) frei war, kann und wird das der vom Arbeitsgeber ausgesprochenen Beendigungskündigung in der Regel das Genick brechen.
    Reagiert der Arbeitgeber auf einen solchen Einwand damit, dass er die Beendigungskündigung „zurücknimmt“ und eine Änderungskündigung ausspricht, die eine Beschäftigung auf einem ggfs. sogar geringerwertigen Arbeitsplatz vorsieht, haben Beschäftigte nach dem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts ein Problem: Zwar können sie das Änderungsangebot ablehnen und auch die Änderungskündigung auf den gerichtlichen Prüfstand stellen. Kommen sie dem Änderungsangebot nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht nach, werden sie sich aber Böswilligkeit im Sinne von § 11 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes vorwerfen lassen müssen.

    Das Bundesarbeitsgericht sagt nämlich:
    „Beruft der Arbeitnehmer sich zeitnah auf eine solche ihm bekannte Beschäftigungsmöglichkeit, ist grundsätzlich von deren Zumutbarkeit auszugehen […] Die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hat damit auch eine subjektive Komponente […]
    Wenn sich ein Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess auf die Möglichkeit der Zuweisung einer aus seiner subjektiven Sicht zumutbaren geringerwertigeren Tätigkeit als die Kündigung ausschließendes milderes Mittel beruft, ist es ihm nach § 242 BGB regelmäßig verwehrt, im Annahmeverzugsprozess die objektive Unzumutbarkeit einer entsprechenden Tätigkeit geltend zu machen. Hierin liegt ein widersprüchliches Verhalten [...]“

Sie sehen also: Gerade bei Änderungskündigungen gibt weitere Möglichkeiten für Arbeitgeber, das Annahmeverzugslohnrisiko zu reduzieren und aus der Prozessstrategie von Arbeitnehmer:innen einen Vorteil zu schlagen.
 
Und noch eine wichtige Botschaft ergibt sich aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.01.2022.
Beschäftigte, die eine andere Tätigkeit aufnehmen oder wieder zur alten zurückkehren sollen, berufen sich häufig auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen des ihnen noch zustehenden Annahmeverzugslohns.
Zu diesem Zurückbehaltungsrecht hat das Bundesarbeitsgericht ebenfalls wichtige Feststellungen getroffen:

  • Ein solches Zurückbehaltungsrecht wird nur dann wirksam ausgeübt, wenn die/der Beschäftigte gegenüber dem Arbeitgeber die dem Zurückbehaltungsrecht zugrunde liegende Gegenforderung konkret mitteilt. Hierzu ist es erforderlich, dass auch die mittlerweile auf die Agentur für Arbeit (wegen des von ihr gezahlten Arbeitslosengeldes) übergegangenen Ansprüche als konkrete Abzugsposten beziffert werden. Eine pauschale Geltendmachung rückständiger Gehaltsansprüche in Höhe von EUR xy abzüglich der auf die Agentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche genügt laut Bundesarbeitsgericht nicht. 

  • Werden die zuvor genannten Voraussetzungen erfüllt, kann ein Zurückbehaltungsrecht nach rechtskräftig beendetem Kündigungsschutzverfahren geltend gemacht werden.
    Die Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten während des noch laufenden Kündigungsschutzverfahrens sieht das Bundesarbeitsgericht skeptisch. Denn wenn Beschäftigte auch im laufenden Verfahren Zurückbehaltungsrechte ausüben könnten, würde das mit ihrer Verpflichtung nach § 11 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes kollidieren, zumindest vorübergehend auch für weniger Geld zu arbeiten. 

Alles in allem also wieder gute Neuigkeiten für Arbeitgeber beim Thema Annahmeverzugslohn.

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