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Neue und wichtige Urteile zur 2-Wochenfrist bei fristlosen Kündigungen

Das Bundesarbeitsgericht hat eine Reihe von arbeitgeberfreundlichen Entscheidungen zur Einhaltung der 2-Wochenfrist des § 626 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches bei fristlosen Kündigungen gefällt.
 
Gerne möchten wir das Ergebnis dieser Entscheidungen thematisch für Sie sortieren.

Anhörung von kranken Arbeitnehmern bei der Verdachtskündigung
 
In unserem Newsletter vom 09.07.2020 hatten wir Ihnen berichtet, dass sich das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 18.06.2019 auf den Standpunkt gestellt hat, dass Arbeitgeber, die eine Verdachtskündigung aussprechen möchten, mit der notwendigen Anhörung des Arbeitnehmers nicht ohne Weiteres bis zu dessen Genesung warten dürfen. Hier der Link zu unserem damaligen Newsletter.
 
Das Bundesarbeitsgericht sieht dies in seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 11.06.2020 (Az.: 2 AZR 442/19) anders.
 
Das Bundesarbeitsgericht hat für die Anhörung von arbeitsunfähigen Arbeitnehmern folgende Grundsätze aufgestellt:

  • Arbeitgeber sind zunächst nicht verpflichtet, Kontakt zum kranken Arbeitnehmer aufzunehmen und ihn zu fragen, ob er in der Lage ist, sich einer Anhörung zu unterziehen. Das schlussfolgert das Bundesarbeitsgericht aus der in § 241 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches verankerten Rücksichtnahmepflicht; hiernach habe der Arbeitgeber auf die Erkrankung des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen und alles zu unterlassen, was dessen Genesungsprozess abträglich sein kann. 
  • Der Arbeitgeber darf allerdings auch nicht beliebig lange mit der Anhörung des Arbeitnehmers zu den Verdachtsmomenten, die seine Verdachtskündigung stützen, warten. 
    Vielmehr muss der Arbeitgeber nach einer angemessenen Frist Kontakt mit dem kranken Arbeitnehmer aufnehmen, um zu klären, ob er gesundheitlich in der Lage ist, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken.
    Für die Frage, was eine angemessene Frist ist, gibt es laut Bundesarbeitsgericht keine starren Grenzen. 
    Das Bundesarbeitsgericht hält eine Frist von 2 bis 3 Wochen aber grundsätzlich für angemessen.
  • Teilt der kranke Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nach angemessener Frist mit, dass er der Anhörung Folge leistet, ist alles in Ordnung.
    Erklärt der Arbeitnehmer dagegen, dass er der Anhörung aus gesundheitlichen Gründen nicht Folge leisten kann, gibt es zwei Varianten: 

1. Der Arbeitgeber wartet mit der Anhörung bis zur Genesung des Arbeitnehmers, was dem Arbeitgeber laut Bundesarbeitsgericht regelmäßig nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.

2. Der Arbeitgeber will nicht länger warten, sondern kündigt ohne Anhörung des Arbeitnehmers. Diese Variante kommt nach dem Bundesarbeitsgericht aber nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen darf, dass sich der Arbeitnehmer in absehbarer Zeit nicht äußern kann. 
Tipp
Infolgedessen sind Sie gut beraten, den Arbeitnehmer, der Ihnen mitteilt, dass er sich krankheitsbedingt noch nicht zu den Vorwürfen äußern könne, zu fragen, wann er das denn seiner Meinung nach tun könne.

2-Wochenfrist bei der fristlosen Kündigung von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern
 
Auch in dieser Frage hat sich das Bundesarbeitsgericht neu positioniert.
 
Bei der fristlosen Kündigung von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern ist die 2-Wochenfrist bekanntlich deshalb ein Problem, weil Arbeitgeber für den Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes brauchen.
Deshalb sagt § 174 SGB IX zweierlei: 

  1. Die Zustimmung zur Kündigung kann nur innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis von den kündigungsrelevanten Tatsachen beim Integrationsamt beantragt werden, § 174 Absatz 2 SGB IX.
  2. Nach der ausdrücklichen oder nach § 174 Absatz 3 SGB IX fingierten Zustimmung des Integrationsamtes muss die Kündigung unverzüglich erklärt werden. 

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinen beiden gerade veröffentlichten Urteilen vom 27.02.2020 (Az.: 2 AZR 390/19) sowie vom 11.06.2020 (Az.: 2 AZR 442/19) seine bisherige Rechtsprechung zu diesen beiden Fristen folgendermaßen geändert:

  • Ob der Antrag auf Zustimmung zur fristlosen Kündigung nach § 174 Absatz 2 SGB IX rechtzeitig erklärt wurde, müssen allein die Integrationsämter entscheiden. 
    Das Bundesarbeitsgericht ist an diese Verwaltungsentscheidung gebunden (solange sie nicht rechtskräftig durch die Verwaltungsgerichte aufgehoben worden ist). 
    Stimmt das Integrationsamt der fristlosen Kündigung ausdrücklich oder wegen Ablaufs der 2-Wochenfrist des § 174 Absatz 3 SGB IX „konkludent“ zu, wird das Bundesarbeitsgericht in Zukunft also nicht mehr überprüfen, ob der Antrag an das Integrationsamt gemäß § 174 Absatz 2 SGB IX rechtzeitig erfolgt ist. 
  • Das Bundesarbeitsgericht prüft nur noch, ob die Kündigung nach § 174 Absatz 5 SGB IX unverzüglich nach Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen wurde. 
  • Unverzüglich bedeutet – anders als dies bisher vertreten wurde – nicht, dass die Kündigung sofort ausgesprochen werden muss. Vielmehr arbeitet das Bundesarbeitsgericht jetzt mit der Wochenfrist, die es auch schon zur Zurückweisung einer Kündigung nach § 174 des Bürgerlichen Gesetzbuches entschieden hat. Ist zwischen Zustimmung des Integrationsamtes und Ausspruch der Kündigung also mehr als eine Woche vergangen, ist dies grundsätzlich nicht mehr unverzüglich. 

Anhörung des Betriebsrats bei fristlosen Kündigungen
 
Auch bei Betriebsratsanhörungen gibt es eine arbeitgeberfreundliche Trendwende, die das Bundesarbeitsgericht in seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 07.05.2020 (Az.: 2 AZR 678/19) eingeleitet hat.
 
Viele Landesarbeitsgerichte haben sich nämlich bislang auf den Standpunkt gestellt, dass Arbeitgeber den Betriebsrat bei einer fristlosen Kündigung auch konkret über die Einhaltung der 2-Wochenfrist unterrichten müssen.
 
Dem hat das Bundesarbeitsgericht jetzt widersprochen und gesagt: 

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat nicht konkret mitteilen, dass er die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches eingehalten hat. 
Vielmehr reicht es, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitteilt, wann sich der Kündigungssachverhalt zugetragen hat. 


Hinweis: Liegt der Kündigungssachverhalt soweit zurück, dass die Kündigung verfristet wäre, hätten Sie nicht weiter ermittelt, den Arbeitnehmer angehört etc., können Angaben zur Einhaltung der 2-Wochenfrist trotzdem sinnvoll sein. Rechtlich erforderlich sind sie zwar nicht, weil dem Betriebsrat bei einer fristlosen Kündigung kein Widerspruchsrecht zusteht. Es kann sich aber "betriebspolitisch" als Vorteil erweisen, wenn Sie den Betriebsrat "rechtlich und moralisch" auf Ihre Seite ziehen können.

In demselben Urteil hat das Bundesarbeitsgericht im Übrigen auch eine arbeitgeberfreundliche Entscheidung zur Anhörung beim tariflichen Sonderkündigungsschutz gefällt und gesagt: 

Ist die fristlose Kündigung Resultat eines tariflichen Sonderkündigungsschutzes, muss dem Betriebsrat im Rahmen seiner Anhörung der Sonderkündigungsschutz nicht zwingend mitgeteilt werden. Eine fristlose Kündigung bleibt also eine fristlose Kündigung, egal ob der Arbeitnehmer Sonderkündigungsschutz hat. 
Dem Betriebsrat werden auch keine Rechte abgeschnitten, wenn nicht über den Sonderkündigungsschutz informiert wurde; ein Widerspruchsrecht nach § 102 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes hat der Betriebsrat nämlich auch bei einer fristlosen Kündigung eines Arbeitnehmers mit Sonderkündigungsschutz nicht. 


Achtung: Anders ist dies bei einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.  

Beginn der 2-Wochenfrist
 
Gerade in Verdachtsfällen sind viele Arbeitgeber unsicher, bei welchem "Grad des Verdachts" die Uhr der 2-Wochenfrist zu ticken beginnt.
 
Auch hier gibt das Bundesarbeitsgericht in seinem aktuellen Urteil vom 07.05.2020 für "lose" Verdachtsfälle Entwarnung:
Laut Bundesarbeitsgericht beginnt die 2-Wochenfrist nämlich erst, wenn dem Arbeitgeber die Tatsachen, die zur Kündigung führen sollen, bereits im Wesentlichen bekannt und nur noch zusätzliche Ermittlungen erforderlich sind bzw. erforderlich erscheinen dürfen, wie z. B. die Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers bei einer Verdachtskündigung oder die Ermittlung von entlastenden Umständen.
 
Dagegen besteht laut Bundesarbeitsgericht keine Verpflichtung des Arbeitgebers, überhaupt erstmal die Tatsachen zu ermitteln, die einen fristlosen Kündigungsgrund darstellen könnten.

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