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Was ist eine "erste Tätigkeitsstätte" im Sinne § 9 Absatz 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes?

Die Frage nach der "ersten Tätigkeitsstätte" gemäß § 9 Absatz 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes treibt die betriebliche Praxis schon lange um.
Schließlich verweisen viele Reisekostenrichtlinien auf das Steuerrecht und nach der "ersten Tätigkeitsstätte" beurteilt sich auch, wann Dienstreisen vorliegen.

Da der Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" erst 2014 Gesetz wurde, sind die Unsicherheiten in der betrieblichen Praxis groß.
In mehreren kürzlich veröffentlichten Urteilen hat der Bundesfinanzhof nun endlich für Klarheit gesorgt.
Bevor wir zu den wesentlichen Aussagen des Bundesfinanzhofs kommen, zunächst noch einmal zum Gesetzestext.

Erste Tätigkeitsstätte nach § 9 Absatz 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, dem der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 04.04.2019 (Az.: VI R 27/17) sowie den am Ende unseres Beitrags genannten weiteren Urteilen des Bundesfinanzhofs bedeutet das:

Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden.
Niederlassungen o.ä. von Unternehmen sind also ortsfeste betriebliche Einrichtungen.
Ein Homeoffice erfüllt die Voraussetzungen einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers dagegen nicht.
 
Die Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers erfolgt in erster Linie durch

  • arbeitsvertragliche Abreden über die erste Tätigkeitsstätte und/oder
  • Weisungen, insbesondere also Versetzungen. 

Wichtig: Haben Sie einem Arbeitnehmer eine "erste Tätigkeitsstätte" arbeitsvertraglich zugewiesen, kommt es - anders als nach der früheren Rechtslage - nicht mehr darauf an, wie oft sich der Arbeitnehmer an dieser Tätigkeitsstätte aufhält.
Laut Bundesfinanzhof reicht es, dass der Arbeitnehmer an der vereinbarten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang die arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten ausübt.

Daraus folgt: Vereinbaren Sie mit einem Außendienstmitarbeiter eine Ihrer Betriebsstätten, die der Außendienstmitarbeiter gelegentlich zu Team-Besprechung o.ä. aufsuchen muss, als erste Tätigkeitsstätte, wäre das legitim.

Dauerhaft ist eine Zuweisung zu einer Tätigkeitsstätte, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Arbeitsverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus, dort tätig werden soll.

Daraus folgt für Arbeitnehmer im langfristigen Kundeneinsatz: Arbeiten Arbeitnehmer länger als 48 Monate bei einem Kunden des Arbeitgebers, kann auch die Betriebsstätte des Kunden erste Tätigkeitsstätte sein. Fahrten des Arbeitnehmers zum Kunden wären dann keine Dienstreisen.

Daraus folgt weiter: Im Laufe eines Arbeitsverhältnisses kann es auch unterschiedliche erste Tätigkeitsstätten geben, nämlich immer dann, wenn der Arbeitnehmer durch arbeitsvertragliche Absprache oder einem arbeitsvertraglich erlaubten Wechsel seines Tätigkeitsortes für länger als 48 Monate dort eingesetzt wird.
 
Gibt es keine arbeitsrechtlichen Festlegungen auf eine erste Tätigkeitsstätte, gilt:
Erste Tätigkeitsstätte ist die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft

  • typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
  • je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

Für die Dogmatiker unter Ihnen, hier die aktuellen Entscheidungen, in denen der Bundesfinanzhof in verschiedenen Fallkonstellationen über die erste Tätigkeitsstätte entschieden hat:
 
BFH, Urteil vom 04.04.2019 (Az.: VI R 27/17),
BFH, Urteil vom 10.04.2019 (Az.: VI R   6/17),
BFH, Urteil vom 10.04.2019 (Az.: VI R 17/17),
BFH, Urteil vom 11.04.2019 (Az.: VI R 40/16),
BFH, Urteil vom 11.04.2019 (Az.: VI R 12/17),
BFH, Urteil vom 11.04.2019 (Az.: VI R 36/16).
 
Bei weiteren Fragen sprechen Sie uns gerne an. 


Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

 

 

 

 

 

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