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Neues Grundsatzurteil zur Kündigung von Betriebsratsmitgliedern

In seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 27.06.2019 (Az.: 2 AZR 38/19) hat das Bundesarbeitsgericht folgende neue Grundsätze für die ordentliche betriebsbedingte Kündigung von Betriebsratsmitgliedern nach § 15 Absatz 4 und Absatz 5 des Kündigungsschutzgesetzes aufgestellt.

  1. Obwohl § 15 Absatz 4 und Absatz 5 des Kündigungsschutzgesetzes nicht auf § 1 des Kündigungsschutzgesetzes verweisen, ist § 1 des Kündigungsschutzgesetzes auch bei einer betriebsbedingten Kündigung von Betriebsratsmitgliedern nach § 15 Absatz 4 und Absatz 5 des Kündigungsschutzgesetzes zu berücksichtigen. 

    Wenn der Betrieb, in dem das Betriebsratsmitglied beschäftigt ist, stillgelegt wird (§ 15 Absatz 4 des Kündigungsschutzgesetzes), es aber in anderen Betrieben desselben Unternehmens freie Arbeitsplätze gibt, kommt also nur eine Änderungskündigung in Betracht. Wie Sie wissen, zählen bei § 1 des Kündigungsschutzgesetzes allerdings nur geringer- oder gleichwertige freie Arbeitsplätze. Einen Anspruch auf eine Beförderungsstelle gibt es im Kündigungsschutzrecht nicht.

    Auch die Grundsätze zur Sozialauswahl sind bei der Kündigung von Betriebsratsmitgliedern zu beachten, wobei es hier folgende Besonderheiten gibt:

    Der gesamte Betrieb wird stillgelegt, § 15 Absatz 4 des Kündigungsschutzgesetzes: Da die Sozialauswahl immer nur betriebsbezogen zu prüfen ist, scheidet eine Sozialauswahl aus. Dies gilt, wie das Bundesarbeitsgericht noch einmal wiederholt, selbst dann, wenn der Arbeitsvertrag des Betriebsratsmitglieds einen betriebsübergreifenden Versetzungsvorbehalt enthält.

    Es wird nur eine Betriebsabteilung stillgelegt, § 15 Absatz 5 des Kündigungsschutzgesetzes: In diesem Fall wird die Sozialauswahl zu Gunsten der Betriebsratsmitglieder erweitert. § 15 Absatz 5 des Kündigungsschutzgesetzes sagt nämlich, dass Betriebsratsmitglieder in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen sind. Daraus schlussfolgert das Bundesarbeitsgericht: Betriebsratsmitglieder können im Falle der Stilllegung "ihrer" Betriebsabteilung andere Arbeitnehmer desselben Betriebs nicht nur nach den Grundsätzen der Sozialauswahl, sondern auch darüber hinaus verdrängen. 

    Diese Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts sind wichtig, weil es gerade in letzter Zeit einige Untergerichte gab, die der Meinung waren, dass die Grundsätze von § 1 des Kündigungsschutzgesetzes bei einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung von Betriebsratsmitgliedern nach § 15 Absatz 4 oder Absatz 5 des Kündigungsschutzgesetzes nicht gelten.

    Das, was für Betriebsratsmitglieder gilt, gilt freilich auch für alle anderen Personen, die der Gesetzgeber nach § 15 Absatz 1 bis Absatz 3a des Kündigungsschutzgesetzes besonders geschützt hat.

     
  2. Eine weitere wichtige Feststellung hat das Bundesarbeitsgericht für die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern (und anderen nach § 15 Absatz 1 bis Absatz 3a des Kündigungsschutzgesetzes besonders geschützten Personen) für Unternehmen mit einer abweichenden Betriebsratsstruktur getroffen.

    Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Unternehmen hat mehrere selbständige Betriebe. Nach § 3 Absatz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes gibt es in dem Unternehmen trotzdem nur einen Betriebsrat.

    Nun wurde einer von mehreren Betrieben stillgelegt. Wenn in dem stillgelegten Betrieb ein Betriebsratsmitglied (oder eine andere durch § 15 Absatz 1 bis 3a des Kündigungsschutzgesetzes besonders geschützte Person) beschäftigt ist, stellt sich folgende "Preisfrage":

    Gilt § 15 Absatz 4 des Kündigungsschutzgesetzes auch in dieser Konstellation? Oder gilt § 15 Absatz 4 des Kündigungsschutzgesetzes erst, wenn alle Betriebe, für die der Betriebsrat gewählt wurde, stillgelegt worden sind.

    Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage, anders als die Vorinstanzen, so beantwortet:

    § 3 Absatz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt im Rahmen von § 15 Absatz 4 des Kündigungsschutzgesetzes nicht.
    Vielmehr gilt der allgemeine Betriebsbegriff (= organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern unter Einsatz von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Befriedigung von Eigenbedarf liegt). 

    Auch das ist eine wichtige Erkenntnis, gab es doch bis dato viele Stimmen, die es genauso wie die Vorinstanzen, also so gesehen haben, dass erst die Stilllegung aller Betriebe, für die ein Betriebsrat gewählt wurde, zur Anwendbarkeit von § 15 Absatz 4 des Kündigungsschutzgesetzes führt.

    Ob für Betriebsteile, die nach § 4 Absatz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes als selbständige Betriebe gelten, § 15 Absatz 4 oder Absatz 5 des Kündigungsschutzgesetzes einschlägig ist, hat das Bundesarbeitsgericht offen gelassen.


Bei weiteren Fragen sprechen Sie uns gerne an.

 
Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

 

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